Mein Boss, die Memme
jetzt bitte zurückhalten. Dass seine Kunden meine Wettbewerber waren, kümmerte ihn nicht. Dass wir eigentlich an einem Strang hätten ziehen müssen, weil mein Gewinn letztlich auch der Gewinn seiner Bank war, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen. Dass der Erfolg meines â unseres! â Unternehmens seine Kunden verärgerte, machte ihm offensichtlich mehr Sorgen als die Wahrung des fairen Wettbewerbs. Er hatte Angst, seine Kunden könnten ihm weglaufen, weil seine eigenen Leute ihre Arbeit machten.
Offiziell konnte er mir nichts, er war kein Gesellschafter der Internet-Firma. Und hatte offensichtlich keine Ahnung, wie er mir die Botschaft auf einer kollegialen Ebene hätte beibringen können. Also versuchte er es, ganz nach der Gewohnheit eines alten Patriarchen, über ein machtvolles Auftreten.
Mein Job aber war es, meine Firma zum Erfolg zu führen. Dass die Karten in diesem Spiel gezinkt waren, durchschaute ich damals noch nicht. Ich wies sein Anliegen brüsk zurück und ihn darauf hin, dass er mir nichts zu sagen hatte. No, Sir. Punkt. Und einen schönen Tag noch. Ich fühlte mich gut, als ich die Vorstandsfestung verlieÃ.
Dass er am Ende durch seine Machtposition Mittel und Wege finden würde, sich durchzusetzen, ahnte ich aus Unerfahrenheit nicht.
Für mich war der Mann ein Feigling. Seine Angst vor einem Konflikt mit den Kunden behielt die Oberhand gegen seine Integrität als Führungskraft und seinen Geschäftssinn. Seinen Kunden bot er nicht die Stirn. Mir gegenüber fühlte er sich dagegen stark genug â unangreifbar verschanzt hinter seinem Ehrfurcht gebietenden Tisch. Hätte sich der groÃe Boss in diesem Moment getraut, zu mir herabzusteigen, um auf Augenhöhe mit mir zu sprechen, hätte er mir sein Anliegen in einer persönlichen Form näher gebracht, von Mensch zu Mensch, sich nach meinem Wohlergehen erkundigt und mir dabei vielleicht auch noch einen Platz und etwas zum Trinken angeboten â ich hätte definitiv aufgeschlossener und freundlicher reagiert. Aber es war nicht nur der Durchmesser seines Tisches, der einen freundlichen Handschlag unmöglich machte. Die in Wahrheit zu überbrückende emotionale Distanz fühlte sich an wie ein Grand Canyon.
Diese Schlucht hat er über Jahrzehnte ausgehoben. Mit jedem gröÃeren und exquisiter ausgestatteten Büro, mit jedem neuen Symbol der Macht in seinem Zimmer, mit jeder Sekretärin, die er immer besser darauf drillte, ungebetene Gäste abzuwimmeln. Bis er für seine Mitarbeiter zu einem unerreichbaren Planeten wurde.
Nur: Auch für ihn selbst gab es, hätte er es überhaupt noch gewollt, keinen Weg mehr zurück zu den Menschen, die für ihn arbeiteten. Die Schlucht war viel zu tief geworden.
Es sind nicht immer Grand Canyons, die Mitarbeiter von ihren Chefs trennen. Aber es sind die unzähligen kleinen Gräben, die memmenhafte Führungskräfte aller Ebenen aus Angst vor ihren Mitarbeitern und deren Bedürfnissen ausheben, die irgendwann zwangsläufig zur Entfremdung führen.
Ein kurzes Gedankenspiel verdeutlicht den EntfremdungsÂeffekt: Stellen Sie sich einmal bitte einen solchen Schreibtisch-Täter in einer anderen Umgebung vor. Nehmen wir zum Beispiel das absolut andere Extrem zu einem klassischen Vorstandszimmer: eine offene, einladende, weitläufige Bürolandschaft. Mit weiÃen, leeren Tischen, die immer dem gehören, der gerade daran arbeitet. Mit diversen Sitzgelegenheiten, kleinen Erfrischungszonen, flexiblen Möbeln. Eine Art Marktplatz, wo sich immer neue Kleingruppen von Mitarbeitern aller Ebenen überall und jederzeit zusammensetzen und austauschen können. Wo man nicht auf den ersten Blick erkennt, wer hier eigentlich was zu sagen hat. Ein Ort also, wo ein territorialer Machtanspruch nur lächerlich wirken würde. Wo Führungskräfte zu einem verfügbaren, immer in Kommunikation befindlichen Bestandteil dynamischer Austauschprozesse werden.
Könnte der oben genannte Banker dann überhaupt noch Chef sein, sich durchsetzen und andere maÃregeln, wie es ihm passt? Und was wäre mit Ihrem Chef? Ãber wie viel Autorität würde er in diesem Umfeld noch verfügen?
Gefühlt auf Augenhöhe
Es gibt Untersuchungen, deren Ergebnisse einen Eindruck davon vermitteln, wie nah sich Mitarbeiter und ihre Führungskräfte im Alltag stehen. Zum Beispiel der
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