Mein Boss, die Memme
Macht â doch von dieser Realität durften sie nichts wissen. Sie waren gefangen in der Matrix.
Willkommen in der Mitarbeiter-Matrix: Das neue IT -System treibt die Gewinne des Unternehmens nach oben, der AkÂtienwert steigt. Davon profitieren Shareholder und die Verantwortlichen des Top-Managements gleichermaÃen. Die Âeinen von der Rendite, die anderen von ihren Boni. Ganz egal, ob das System völlig unpraktikabel ist, eine Unzahl von Macken hat oder für Mehrarbeit sorgt anstatt Arbeitsschritte einzusparen â Hauptsache, es sorgt für Kontrolle. Das System bestimmt, wie wir arbeiten, wie in unserer Firma unsere Tätigkeiten gemessen und kontrolliert werden.
In folgendem Gespräch konnte ich mich davon überzeugen, warum die Standardisierung gewordene Kontrolle bei vielen Ober-Bossen Priorität vor den Interessen der Mitarbeiter hat:
System sells
Kürzlich traf ich einen Geschäftsführer, der die deutsche Filiale eines groÃen amerikanischen Computerherstellers leitet. Freudestrahlend erzählte er mir, dass es sein Unternehmen nach fünfzehn Jahren endlich geschafft hätte, die digitale Abwick lung der Reisekosten zu standardisieren. Und zwar für über 200 000 Mitarbeiter in mehr als 30 Ländern weltweit. Das Tollste daran sei, dass das Unternehmen dadurch etwa 100 Millionen Euro im Jahr einsparen würde, berichtete er mit glühenden Augen. Ich gratulierte.
Er zögerte kurz und fügte hinzu: »Aber weiÃt Du was: Jeder hasst das System. Absolut jeder Mitarbeiter.«
Als ich nachfragte, warum, leierte er schnell herunter, was ich schon oft über solche Systeme gehört hatte: Die Benutzung sei für die Mitarbeiter ein ungeheurer Akt. Es sei unfair, weil nicht alle Kosten getragen werden und die Mitarbeiter immer wieder auf Ausgaben hängen bleiben. Gesetzliche Vorgaben und steuerliche Bestimmungen, die in jedem Land anders geregelt sind, sorgen immer wieder für Chaos. Ja, jeder lehnt das System ab.
Aber dann grinste er mich wieder triumphierend an: »But the management loves it!«
Das glaubte ich ihm sofort. Vor allem, als er mir in seiner Siegeslaune noch erzählte, dass sie die Software jetzt einem deutschen Konzern verkauft hätten und andere Konzerne ebenfalls reges Interesse zeigen würden. Ein echter Kassenschlager, das verhasste System.
Was für eine merkwürdige Welt.
Das Top-Management liebt also ein System, das seinen Mitarbeitern nur Ãrger bereitet. Das ist absurd. Und zugleich unheimlich logisch. Denn die Führungsspitze interessiert nur die eine Frage: Wie lässt sich eine Situation schaffen, die den Shareholdern und ihnen selbst Gewinn einbringt?
Um die Unternehmensgewinne nach oben zu treiben, gibt es in der Welt des Top-Managements meist nur einen Weg: die Effizienz aller Arbeitsprozesse muss steigen, die Kosten müssen sinken. Letzteres vor allem beim gröÃten Kostenblock, den durch die Mitarbeiter verursachten Lohnkosten. Dass man bei Mitarbeitern nicht nur kürzen, sondern auch investieren kann, das kommt den Verantwortlichen nicht in den Sinn.
Dass aber das Wissen über die richtigen Abläufe bei den Mitarbeitern an der Basis, in den Niederlassungen, liegt, das ignoriert das System der Kontrolle. Dass die Standardisierung nicht für eine Arbeitserleichterung sorgt, sondern in den meisten Fällen Sand ins Getriebe wirft und die geölte Maschine einer gut geführten Abteilung zum Stillstand bringen kann, ist gegenüber den Motiven der Vorstandsetage uninteressant. Dass die Ober-Bosse potenzielle Innovation und ein möglicherweise viel höheres Wachstum genauso im Keim ersticken wie ein paar Risiken, das spielt für diese Memmen keine Rolle.
Was sie mit ihren MaÃnahmen anrichten, wissen die Vorstände oft gar nicht, weil jede negative Rückmeldung von den Management-Ebenen unterhalb des Vorstands abgefangen wird. Dort wird in Memmen-Manier nach oben gute Miene gemacht, nach unten aber getreten, um dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter möglichst widerstandslos funktionieren.
Noch schlimmer aber sind die Vorstände, die von der Frustration der Basis über den Standardisierungswahn wissen und ihn ganz bewusst in Kauf nehmen. Solche Vorstände sind zu feige, sich der Konfrontation mit den Auswirkungen ihrer Strategie zu stellen. Feiger noch als die Mittelmemmen, die dem dunklen Geist innerhalb der Firmenhierarchie den Weg nach unten
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