Mein Boss, die Memme
flachen Hierarchien und flexiblen Arbeitsmodellen? Sind nicht auch alte, traditionsreiche Konzerne dabei, sich zu verändern? Etwa die Deutsche Telekom, die 2011 ein Modell zur Teilzeitarbeit eingeführt hat?
Sicher, an diese VerheiÃungen kann man glauben.
Aber wissen Sie was? Ich glaube etwas anderes.
Das bestehende Führungssystem in den meisten deutschen GroÃunternehmen ist ein System der Kontrolle, begründet auf dem grenzenlosen Misstrauen der Memmen gegenüber ihren Mitarbeitern. Und dieses System hat seinen Ursprung nicht bei den kleinen Memmen, mit denen die meisten von uns es tagtäglich zu tun haben, sondern in den VorstandsÂetagen. Dort sitzen die Ober-Memmen. Dort sitzen die, die ihren Führungskräften â unseren Chefs â ihrerseits ebenfalls keinen Meter weit trauen. Vor allem dann nicht, wenn es um den Shareholder Value geht, dem Wert der Anteile, die die Aktionäre halten und mit dem die Investoren und die Fond-Manager genauso wie die Analysten und all die anderen Haie der Finanzindustrie ihr schnelles Geld verdienen. Diese Anteilseigner und ihre Gefolgschaft sind es, die den Top-Managern auf die Finger schauen. Dem heiligen Gral des Shareholder Value zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden â das ist die Existenzberechtigung der Ober-Memmen. Es lohnt sich für sie, denn daran sind auch ihre Boni geknüpft.
Um diese Motive zu verfolgen, könnten die Vorstände ihren Führungskräften natürlich auch einfach vertrauen. Ein Vertrauensvorschuss in die eigenen Leute braucht jedoch ein gewisses Maà an Risikobereitschaft. Und nichts, wirklich gar nichts, ist den Ober-Memmen fremder als das. Um sich vor den Anteilseignern und Investoren rechtfertigen zu können, müssen ihre Prognosen eintreffen. Ihre Angst dazustehen wie Deppen, wenn die Zahlen am Ende des Jahres nicht zu den Vorgaben passen, überwiegt jeden unternehmerischen Instinkt, jedes gesunde Verständnis von Unternehmensführung. Die Angst ist stärker als die Integrität gegenüber den Mitarbeitern. Und die Gier nach den Boni, die den Vorständen ein Leben in Angst schmackhaft machen, ist es auch.
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in meinen Jahren als Manager diesen Satz von Vorständen gehört habe: »Donât surprise me!« Oder diesen: »Ich hasse das Unerwartete!« Das Unerwartete, das Spontane ist der erklärte Feind des Kontrollsystems. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob es sich um eine erfreuliche oder eine unerfreuliche Ãberraschung handelt: Eine zutreffende Prognose ist den Memmen lieber als eine unerwartet herausragende Abteilungsbilanz.
Die Vorstände interessiert es nicht, wer die besten Zahlen liefert. Wirklich wichtig ist den Ober-Memmen nur, dass wir tun, was sie wollen. Das Misstrauen, geboren aus der Angst vor den Shareholdern, und die Gier, die das Misstrauen motiviert, das ist der Geist, der im Memmen-Biotop umgeht. Das ist der Geist des Vorstands.
Und um diesen Geist zu verbreiten, brauchen sowohl unsere Memmen-Bosse als auch deren Memmen-Bosse im Vorstand Mittel und Wege. Weil ihr Selbstverständnis auf dem Misstrauen gegenüber anderen â insbesondere Mitarbeitern â beruht, können sie sich nicht darauf verlassen, dass wir unseren Job machen. Sie können uns auch nicht einfach fragen. Schon gar nicht können sie uns die Verantwortung dafür übertragen.
Deshalb haben sie einen monströsen Apparat von Kontrollinstrumenten ersonnen, die einzig und allein dazu dienen, dass die Memmen nachts schlafen können â und trotz minimalem Risiko ihre fetten Boni kassieren.
Das aber ist gar nicht so einfach zu realisieren, denn besonders bei internationalen Unternehmen haben die Ober-Bosse es mit einem riesigen Stab an potenziellen Risiken zu tun. All die Kostenstellen namens Mitarbeiter unter einen Hut zu bringen â dazu braucht es ein ausgefeiltes System, das auf dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners beruht.
Dieses System hat einen Namen: Standardisierung. Und deshalb ist das Mittel der Kontrolle im Memmen-Biotop genau das: ein riesiger Standardisierungsapparat, der sicherstellt, dass alle nach den Ober-Pfeifen tanzen.
Angesichts einer selbstbewussteren Generation von Mitarbeitern ist dieser Apparat heute nicht mehr so offensichtlich wie noch in der Ãra der Stechuhr. Gemeinsam mit den Memmen ist er schlauer und anpassungsfähiger geworden. Seine
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