Mein Boss, die Memme
könnte. Die Gespräche waren bisher immer entspannt, aber auf lockere Art ging es ums Wesentliche.
Dieses Jahr saà mein Chef plötzlich mit einem Fragebogen vor mir. Ich dachte mir zuerst nichts dabei und redete einfach mal drauf los. Aber wir kamen nicht so richtig ins Rollen.
Immer wieder brach er ab, schaute auf seinen Bogen, machte ein paar Notizen und stellte dann eine Frage, die verdammt wenig mit mir und unserer Arbeitssituation zu hatte oder manchmal einfach nur grotesk wirkte.
So fragte er mich zum Beispiel, wie ich denn meine eigene Situation bewerten würde. Ich antwortete, dass ich ihm das doch gerade ausführlich geschildert hätte. Ja, aber jetzt wolle er eine Bewertung, ich sollte einen bis fünf Punkte vergeben. Ich nannte, beinahe wahllos, eine Ziffer.
Dann fragte er mich, ob ich glaubte, dass sein Vorgesetzter, also er, mich respektieren würde. Ich musste lachen. Das wusste er doch. Was sollte dieser Blödsinn? Hatte er über Nacht einen Gedächtnisverlust erlitten? Musste ich mich als Nächstes vielleicht noch neu auf meine Stelle bewerben?
Irgendwann schob er den Bogen entnervt zur Seite. Dann lief es endlich, und ich erkannte meinen Chef wieder als meinen Chef.
Und die 27 Fragen? Die beantwortete er später selbst. Hauptsache, die Personalabteilung wurde damit glücklich. «
Markus N., Elektroingenieur
27Â Fragen, die sich Personalexperten ausgedacht haben. Warum?
Weil man es einfachen Führungskräften nicht zutraut, ein Personalgespräch richtig zu führen. Weil man erwartet, dass die meisten Vorgesetzten überhaupt nicht mit ihren Leuten reden. Oder dass sie es womöglich so tun, wie sie es selbst für richtig halten. Und das geht natürlich gar nicht â zumindest, wenn man seine Führungskräfte für unfähig hält und im Ãbrigen auch gar nicht will, dass sie selbstständig denken.
Und was tut eine zentrale Abteilung, wenn sie glaubt, dass irgendwo etwas nicht im Sinne des Mutterschiffs läuft oder die Führungskräfte vor Ort noch nicht mitspielen beim Memmen-Theater?
Sie legt die Standards fest. Und zwar für alle Standorte weltweit. 27 Fragen, die in Gütersloh genauso gestellt werden wie in Singapur und Kansas City.
Kann das funktionieren? Ich glaube es nicht.
Es gibt Fragen, die mögen in Deutschland angebracht sein, in Singapur versteht sie kein Mensch. Um mit ihrem Programm erfolgreich zu sein, sucht die Zentrale nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Ein Nenner, mit dem auch der unfähigste Boss arbeiten kann.
In den meisten Fällen wirken weltweite Standards wie eine Dampfwalze, die alles platt macht, was sich bisher erfolgreich im Kleinen bewährt hat. Was über Jahre hinweg zwischen örtlicher Führung und Belegschaft in Rücksicht auf persönliche und kulturelle Befindlichkeiten ausgehandelt und entwickelt wurde.
Aber das ist der zentralen Abteilung egal. Sie will, im Auftrag des Vorstands, die Truppen auf Linie bringen, ihre Linie. Und das geht nur, wenn sie die regionale Leitung ein Stück weit entmündigt, sie maÃregelt, ihr die Kompetenzen entzieht. Sie zu Memmen macht, die nach ihrer Pfeife tanzen.
Auch der Chef des Elektroingenieurs im obigen Beispiel wird vielleicht am Ende zu einem von denen, die den Vorgaben der Zentrale nachgeben und sich reibungsfrei in ihr Schicksal fügen.
Das nämlich ist der Anreiz, den die vorgestanzten Schablonen bei der Memmen-Erziehung darstellen: Leichter haben es die, die sich fügen und den gequirlten Mist aus der Zentrale umsetzen, wie schwachsinnig er auch sein mag. Und so geben viele dem System nach und werden zu Memmen.
Alles andere würde dagegen Mut und Risikobereitschaft erfordern.
Wenn das Controlling die Kontrolle übernimmt
Was für die Personalführung gilt, funktioniert in ähnlicher Weise auch beim Controlling. Die Standardisierung aller Unternehmensprozesse macht die Arbeit für die Mitarbeiter vor Ort nicht gerade leichter. Für ihre Führungskräfte kommen die Vorgaben der Zentrale einer Entmachtung gleich.
Bei einem Thema wie Fragebögen für Mitarbeitergespräche mag das nicht unbedingt von Bedeutung sein. Geht es aber um das Kerngeschäft, dann wird die Sache ernst für jeden Chef, der sich nicht nur für seinen reibungslosen Aufstieg, sondern tatsächlich auch für den Erfolg seiner Firma und seines Teams interessiert. Was man von dem Chef in
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