Mein erfundenes Land
Recht des Mannes, seine Frau zu schlagen, wenn die Suppe kalt auf den Tisch kam. Ehe Psychologen und Behörden sich einmischten, bezweifelte niemand die Segnungen einer anständigen Tracht Prügel. Ich wurde nicht geschlagen wie meine Brüder, aber auch ich lebte mit der Angst, wie alle Kinder in meiner Umgebung.
In meinem Fall wurde das naturgegebene Unglück der Kindheit noch durch einen Kuddelmuddel von Komplexen verschlimmert, so viele an der Zahl, daß ich mich heute nicht mehr an alle erinnere, aber zum Glück sind mir keine Wunden geblieben, die die Zeit nicht geheilt hätte. Einmal hörte ich von einer bekannten afroamerikanischen Schriftstellerin, sie habe sich von klein auf in ihrer Familie und an ihremWohnort fremd gefühlt. Sie sagte, diese Erfahrung machten nahezu alle Schriftsteller, selbst wenn sie sich nie aus ihrer Heimatstadt fortbewegten. Das sei eine notwendige Bedingung für diesen Beruf, denn ohne die Unruhe, die es verursacht, wenn man sich anders fühlt, empfinde man keine Notwendigkeit zu schreiben. Letzten Endes ist das Schreiben ein Versuch, sich die eigene Umgebung verständlich zu machen und das Dasein zu entwirren, womit normale Leute keine Schwierigkeiten haben, notorische Querköpfe jedoch schon, und die enden dann häufig als Schriftsteller, nachdem sie in anderen Beschäftigungen gescheitert sind. Diese Hypothese nahm mir eine Last von den Schultern: Ich bin kein Monstrum, es gibt andere wie mich.
Ich paßte nirgends hinein, weder in meine Familie noch in die soziale Schicht oder die Religion, die mir der Zufall beschieden hatte. Ich war nicht Teil der Clique, die auf der Straße Fahrrad fuhr, meine Cousins ließen mich nicht mitspielen, in der Schule war ich das unbeliebteste Kind und später lange Zeit diejenige, die auf Festen am wenigsten tanzte, nicht weil ich so unansehnlich, sondern weil ich so schüchtern war, wie ich heute glauben möchte. Ich verbarrikadierte mich hinter meinem Stolz, tat, als kümmerte es mich nicht, hätte jedoch, um dazuzugehören, meine Seele an den Teufel verkauft, angenommen, der hätte mir dies verlockende Angebot unterbreitet. Die Wurzel meiner Schwierigkeiten ist von jeher dieselbe: Ich kann nicht hinnehmen, was sich für andere von selbst versteht, und verspüre einen unwiderstehlichen Drang, Meinungen zu äußern, die niemand hören will, womit ich mehr als einen möglichen Verehrer in die Flucht schlug. (Bleiben wir ehrlich: Viele waren es nie.) Später dann, während meiner Zeit als Journalistin, hatten Neugier und ein flottes Mundwerk einiges für sich. Damals war ich zum ersten Mal Teil einer Gemeinschaft, ich besaß einen Freibrief, durfte indiskrete Fragen stellen und meine Ansichten verbreiten, aber das war mit dem Militärputschvon 1973 auf einen Schlag vorbei. Die Bluthunde wurden von der Kette gelassen, und ich war von einem Tag auf den anderen eine Fremde im eigenen Land, bis ich es schließlich verlassen mußte, denn wie hätte ich dort leben und meine Kinder großziehen sollen, wo die Angst regierte und es keinen Platz für Dissidenten wie mich gab. Damals waren Neugier und ein flottes Mundwerk per Dekret verboten. Außerhalb Chiles wartete ich über Jahre darauf, daß die Demokratie wiederhergestellt würde, weil ich zurückkehren wollte, aber als es schließlich soweit war, tat ich es nicht, denn inzwischen war ich mit einem Nordamerikaner verheiratet und lebte in der Nähe von San Francisco. Ich habe nicht wieder in Chile gewohnt, wo ich tatsächlich weniger als die Hälfte meines Lebens verbracht habe, auch wenn ich es häufig besuche. Um jedoch auf die Frage jenes Unbekannten über mein Heimweh zu antworten, muß ich fast ausschließlich von meiner Zeit dort sprechen. Und von meiner Familie, denn Land und Sippe werden eins in meinem Kopf.
Spannelanges Land
Fangen wir vorne an, mit Chile, diesem entlegenen Land, das wenige auf der Landkarte finden, so weit am Rand, daß man weiter nicht gehen kann, ohne vom Planeten zu fallen. »Wollen wir Chile nicht verkaufen und etwas anschaffen, das näher an Paris liegt …?« fragte einmal einer unserer Schriftsteller. Niemand kommt zufällig hier vorbei, wie sehr er sich auch verlaufen haben mag, obgleich so mancher Besucher sich zum Bleiben entschließt, weil er sich in das Land und seine Menschen verliebt hat. Hier enden alle Wege, an dieser Lanze im Süden des Südens von Amerika, viertausenddreihundert Kilometer Berge, Täler, Seen und Meer. Neruda beschreibt sie in seinen
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