Mein erfundenes Land
sie heutzutage, wo die Frauen Gewichte heben, nicht mehr findet. Diese Verletzlichkeit wirkte bezaubernd, denn auch der kümmerlichste Mann konnte sich an ihrer Seite stark fühlen. Sie war der Typ Frau, den man gerne behütet, anders als ich, die ich mehr von einem Panzer in voller Fahrt habe. Man hätte von ihr erwartet, daß sie Trauer trüge und in Tränen zerflösse, weil ihr liederlicher Gatte sie hatte sitzenlassen, statt dessen versuchte sie, sich nach Möglichkeit zu vergnügen, wobei diese Möglichkeit mehr als begrenzt war, denn damals konnte eine Frau nicht allein in den Teesalon gehen, und ins Kino schon gar nicht. Die Zensur kennzeichnete jeden Film, der irgendwie sehenswert war, als »nicht empfohlen für unverheiratete Damen«, und damit durfte sie diese Filme nur in Begleitung eines zur Familie gehörenden Mannes anschauen, der die Verantwortung für den moralischen Schaden übernahm, den die Vorstellung in der empfindsamen weiblichen Psyche anrichten konnte. Aus diesen Jahren gibt es noch einige Fotos von meiner Mutter, auf denen sie aussieht wie eine jüngere Schwester von Ava Gardner. Ihre Schönheit hatte nichts Künstliches: Ihr Teint war strahlend, ihr Lachen unverstellt, die Züge klassisch und von großer natürlicher Eleganz, mehr als genug Gründe, sich das Maul über sie zu zerreißen. Da schon ihre platonischen Verehrer die bigotte Gesellschaft von Santiago entsetzten, können Sie sich vorstellen, welchen Skandal es gab, als ihre Liebe zu einem verheirateten Mann ruchbar wurde, Vater von vier Kindern und Neffe eines Bischofs.
Unter vielen Anwärtern entschied sich meine Mutter für den unansehnlichsten. Ramón Huidobro sah aus wie eine grüne Wechselkröte, doch wie im Märchen verwandelte er sich durch den Kuß der Liebe in einen Prinzen, und heute könnte ich schwören, daß er hübsch ist. Heimliche Liebschaften hat es von jeher gegeben, darin sind wir Chilenen Experten, aber von heimlich konnte bei dieser Romanzenicht die Rede sein, und bald wußte es die ganze Stadt. Da er seine Tochter unmöglich umstimmen oder den Skandal abwenden konnte, packte mein Großvater den Stier bei den Hörnern und sorgte dafür, daß der Liebhaber in seinem Haus einzog, womit er die gesamte Gesellschaft und die Kirche gegen sich aufbrachte. Der Bischof wollte die Dinge persönlich zurechtrücken, wurde von meinem Großvater aber hinauskomplimentiert mit den Worten, er nehme seine Sünden auf die eigene Kappe und die seiner Tochter gleich mit. Jener Liebhaber sollte mit den Jahren zu meinem Stiefvater werden, zu dem unvergleichlichen Onkel Ramón, Freund, Vertrauten, zu meinem einzigen und wahrhaftigen Vater; aber als er bei uns einzog, betrachtete ich ihn als Feind und nahm mir vor, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Fünfzig Jahre später streitet er ab, daß ich ihm je den Krieg erklärt hätte; aber das sagt er aus Edelmut, um mir meine Schuldgefühle zu nehmen, denn ich weiß noch wie gestern, daß ich Pläne schmiedete, um ihm einen langsamen und schmerzhaften Tod zu bereiten.
Chile ist vermutlich das einzige Land der Galaxis, in dem man sich nicht scheiden lassen kann, weil keiner es wagt, sich gegen die Priester aufzulehnen, obwohl mehr als zwei Drittel der Bevölkerung seit langem ein Recht auf Scheidung fordert. Kein Parlamentarier, noch nicht einmal diejenigen, die sich von ihrer Ehefrau getrennt haben und danach in schneller Folge andere Frauen hatten, legt sich mit der Kirche an. Also schlummert das Scheidungsgesetz Jahr um Jahr im Ordner für die zu regelnden Angelegenheiten, und sollte es eines Tages tatsächlich verabschiedet werden, dann mit so vielen Einschränkungen und Bedingungen, daß man seinen Ehepartner besser gleich umbringt. Meine beste Freundin, die es leid war, auf die Annullierung ihrer Ehe zu warten, las täglich die Todesanzeigen in der Hoffnung, den Namen ihres Angetrauten dort zu finden. Sie wagte zwar nie, darum zu beten, daß ihr Mann den wohlverdienten Todfände, aber wenn sie Pater Hurtado fromm darum ersucht hätte, hätte der sie zweifellos erhört. Durch Hintertürchen im Gesetz haben seit über hundert Jahren viele tausend Paare ihre Ehe annullieren lassen können. So auch meine Eltern. Der erklärte Wunsch meines Großvaters und seine Beziehungen genügten, damit mein Vater wie von Zauberhand verschwand und meine Mutter für ledig erklärt wurde mit drei unehelichen Kindern, die unser Gesetz »putativ« nennt. Mein Vater unterschrieb ohne einen Mucks, nachdem
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