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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Eigenschaften wahrzunehmen, als einen Platz, der sich beschreiben läßt und real ist. Ich sehe es vor mir, wie man Wege auf dem Land vor sich sieht, wenn der Tag sich neigt und die Schatten der Pappeln den Blick täuschen, als wäre die Landschaft nur ein Traum.

Ernste und hochfahrende Leute
    Eine meiner Freundinnen sagt, wir Chilenen seien arm, hätten aber empfindliche Füße. Damit spielt sie natürlich darauf an, daß wir beim geringsten Anlaß gekränkt sind, die reinsten Mimosen, unmäßig stolz und bei jeder sich bietenden Gelegenheit geneigt, den todernsten Trottel zu geben. Woher das kommt? Zum Teil dürfen wir es wohl unserem Mutterland Spanien zuschreiben, das uns eine Mischung aus Leidenschaft und Ernst vermacht hat; etwas stammt sicher auch von den leidgeprüften Araukanern, und den Rest können wir dem Schicksal anlasten.
    In meinen Adern fließt etwas französisches Blut, von seiten meines Vaters, und zweifellos auch indianisches, das sieht man mir an, doch im wesentlichen sind meine Ursprünge kastilisch-baskischer Natur. Die Gründerväter von Familien wie der meinen wollten Dynastien aus der Taufe heben, und manche erfanden sich zu diesem Zweck eine aristokratische Abstammung, auch wenn sie vormals spanische Bauern oder Glücksritter gewesen waren, die restlos abgebrannt am entlegensten Zipfel Amerikas gelandet waren. Von echtem blauem Blut konnte die Rede nicht sein. Sie waren ehrgeizig und arbeitsam, bemächtigten sich der fruchtbarsten Landstriche in der Umgebung von Santiago und setzten alles daran, Honoratioren zu werden. Da sie früher eingewandert und rasch wohlhabend geworden waren, gestatteten sie sich den Luxus, auf jene hinabzusehen, die nach ihnen kamen. Sie heirateten untereinander und sorgten als gute Katholiken für reichlich Nachwuchs. Die normal geratenen Söhne waren für die Ländereien, für eine Laufbahn in einem Ministerium oder in der klerikalen Hierarchie bestimmt, niemals jedoch für den Handel, der einer anderen Sorte Mensch vorbehaltenwar; die geistig weniger begünstigten brachte man bei der Marine unter. Häufig war noch ein Sohn übrig für den Posten des Präsidenten der Republik. Bei uns gibt es Sippen von Präsidenten, als wäre der Posten erblich, denn die Chilenen wählen bekannte Namen. Die Familie Errázuriz etwa stellte drei Präsidenten, gut dreißig Senatoren, wer weiß wie viele Kongreßabgeordnete und daneben etliche hohe kirchliche Würdenträger. Die tugendhaften Töchter der »bekannten« Familien heirateten ihre Cousins oder lebten beseelt von zweifelhaften Wundern; um die verirrten kümmerten sich die Nonnen. Man war konservativ, fromm, ehrbar, hochfahrend und sparsam, im allgemeinen jedoch zu großzügigen Gaben bereit, weniger aus Veranlagung als zum Gewinn des Himmelreichs. Die Furcht vor Gott war allgegenwärtig. Ich wurde mit der Überzeugung groß, daß jedes Privileg naturgemäß einen Rattenschwanz von Verpflichtungen nach sich zieht. Diese soziale Schicht Chiles hielt eine gewisse Distanz zu ihren Nächsten, denn sie war auf Erden, um gutes Beispiel zu geben, eine schwere Bürde, die man mit christlicher Demut auf sich nahm. Doch sollte ich wohl klarstellen, daß der Familienzweig meines Großvaters trotz seiner Abstammung und seines Namens nicht Teil dieser Oligarchie war, zwar ein gutes Auskommen hatte, jedoch nicht über Vermögen oder Ländereien verfügte.
    Typisch für die Chilenen im allgemeinen und die Nachfahren von Kastiliern und Basken im besonderen ist ihre Nüchternheit, die stark mit dem überschäumenden Temperament kontrastiert, das man sonst in Lateinamerika häufig findet. Ich wuchs zwischen steinreichen Tanten auf, Cousinen meines Großvaters und meiner Mutter, die schwarze knöchellange Kittel trugen und sich brüsteten, die dreiteiligen Anzüge ihrer Ehemänner zu »wenden«, ein mühseliger Vorgang, bei dem alle Nähte aufgetrennt, die Teile gebügelt und auf links wieder zusammengenäht wurden, um dem Kleidungsstück neues Leben einzuhauchen. Die Opferwaren leicht auszumachen, weil die Brusttasche ihres Jacketts auf der rechten Seite saß. Es sah immer erbärmlich aus, bewies jedoch, wie sparsam und tüchtig die wackere Frau des Hauses war. Tüchtig zu sein ist fundamental in meinem Land, in dem nur die Männer auf der Bärenhaut liegen dürfen. Ihnen wird das verziehen, genau wie das Trinken, weil beides als biologisch unvermeidlich gilt: Wer so geboren ist, ist halt so geboren… Bei Frauen ist das etwas anderes,

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