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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ihm versichert worden war, daß er für seinen Nachwuchs nicht würde aufkommen müssen. Für die Annullierung bedarf es einer Reihe von falschen Zeugen, die vor einem Richter unter Eid die Unwahrheit sagen, die dieser zu glauben vorgibt. Damit die Sache erfolgreich ist, muß man mindestens einen Anwalt einschalten, für den Zeit Geld ist, weil er nach Stunden bezahlt wird und folglich den Rechtsweg nicht abkürzen möchte. Damit der Anwalt die Annullierung »herausschlägt«, müssen sich die Ehegatten allerdings einig sein, denn wenn einer bei dieser Farce nicht mitspielen will, wie etwa die erste Frau meines Stiefvaters, dann ist nichts zu machen. All das führt dazu, daß Männer und Frauen sich zusammentun und trennen ohne jedwedes Papier; in meinem Bekanntenkreis ist das gang und gäbe. Während ich darüber schreibe, im dritten Jahrtausend, ist das Scheidungsgesetz noch immer nicht verabschiedet, obwohl der Präsident der Republik seine erste Ehe annulliert hat und wieder verheiratet ist. Wenn es so weitergeht, werden meine Mutter und Onkel Ramón, die schon in den Achtzigern sind und erheblich mehr als ein halbes Jahrhundert zusammengelebt haben, sterben, ohne ihre rechtliche Situation klären zu können. Inzwischen kümmert es die beiden nicht mehr, und selbst wenn sie könnten, würden sie nicht heiraten; sie möchten lieber als legendäre Liebende in Erinnerung bleiben.Onkel Ramón arbeitete wie mein Vater im Außenministerium, und kurz nachdem er sich als illegitimer Schwiegersohn unter dem schützenden Dach meines Großvaters eingerichtet hatte, wurde er im diplomatischen Dienst nach Bolivien geschickt. Das war Anfang der fünfziger Jahre. Meine Mutter und wir, ihre Kinder, reisten ihm nach.
    Bevor die Reisen begannen, war ich überzeugt, alle Familien seien wie meine, Chile sei der Mittelpunkt der Welt, der Rest der Menschheit sehe genauso aus wie wir und spräche Spanisch; Englisch und Französisch waren Schulfächer, genau wie Geometrie. Kaum hatten wir die Grenze passiert, kam mir der Verdacht, die Erde könnte gigantisch sein, und ich merkte, daß niemand, aber auch wirklich niemand die Außergewöhnlichkeit meiner Familie zu begreifen imstande war. Ich lernte schnell, wie man sich fühlt, wenn man abgelehnt wird. Wir verließen Chile und zogen dann von einem Land ins nächste, und ich war fortan die Neue im Viertel, die Ausländerin in der Schule, war die mit den komischen Anziehsachen, konnte nicht einmal reden wie die anderen. Ich fieberte dem Tag entgegen, an dem ich wieder heimkäme nach Santiago auf vertrautes Terrain, aber als es schließlich etliche Jahre später soweit war, paßte ich auch dort nicht mehr hin, weil ich zu lange weggewesen war. Ausländerin zu sein, wie ich es fast immer gewesen bin, bedeutet, daß ich mich viel mehr als die Einheimischen anstrengen muß, was mich hübsch wachgehalten hat. Für jemanden, der sein Geld mit Beobachten verdient, bietet es manchen Vorteil: Nichts erscheint mir selbstverständlich, fast alles überrascht mich. Ich stelle absurde Fragen, aber zuweilen stelle ich sie den richtigen Leuten, und so finde ich Stoff für meine Romane.
    Was mir an meinem Mann Willie unter anderem so gut gefällt, ist sein herausforderndes und selbstgewisses Auftreten. Er zweifelt nicht an sich oder seiner Umgebung. Er hat immer im selben Land gelebt, weiß, wie man Sachen aus dem Katalog bestellt, wie Briefwahl funktioniert, wie mandie Aspirinflasche aufkriegt und wo er anrufen muß, wenn die Küche unter Wasser steht. Ich beneide ihn um seine Sicherheit; er fühlt sich vollkommen wohl in seiner Haut, in seiner Sprache, seinem Land, seinem Leben. Menschen, die immer an einem Ort gelebt haben und auf Zeugen für ihren Weg durch die Welt zurückgreifen können, haben etwas Frisches und Unbekümmertes an sich. Dagegen legen sich jene unter uns, die häufig Abschied nehmen mußten, notgedrungen ein dickes Fell zu. Wir entbehren der Wurzeln und der Zeugen für unsere Vergangenheit und müssen daher der Erinnerung vertrauen, um unserem Dasein Kontinuität zu geben; aber die Erinnerung ist immer unscharf, man kann sich nicht auf sie verlassen. Den Ereignissen meiner Vergangenheit fehlen die Konturen, sie sind verwischt, als wäre mein Leben nur eine Abfolge von Illusionen, von flüchtigen Bildern und Dingen, die ich nicht oder nur ungefähr verstehe. Ich habe keine Gewißheiten. Es gelingt mir auch nicht, Chile als einen geographischen Ort mit bestimmten charakteristischen

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