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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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neue Wege sucht, das neue Formen des Lebens sucht…«
    Die Frage, warum er in der Regierung für den Bereich Wirtschaft zuständig sei, beantwortete eben dieser Admiral damit, daß Ökonomie sein Hobby sei und er sich in Kursen der Encyclopaedia Britannica damit beschäftigt habe. Und mit derselben Einfalt sagte er: »Der Krieg ist der schönste Beruf, den es gibt. Und was ist der Krieg? Die Fortsetzung des Friedens, in der all das umgesetzt wird, was der Friede nicht erlaubt, um den Menschen in die perfekte Dialektik zu führen, die in der Vernichtung des Feindes besteht.«
    Als diese Perlen 1980 in der Presse erschienen, war ich schon nicht mehr in Chile. Ich blieb eine Zeitlang, doch als ich spürte, wie sich die Schlinge um meinen Hals zuzog, ging ich. Ich sah, wie sich das Land und seine Menschen veränderten. Ich versuchte zu tun, worum mein Großvater mich gebeten hatte, mich anzupassen und nicht aufzufallen, aber als Journalistin erfuhr ich von zu vielem. Erst war die Furcht vage und schwer zu fassen wie ein übler Geruch. Ich spielte die grauenerregenden Gerüchte, die kursierten, herunter, sagte, es gebe keine Beweise, und wenn ich die Beweise mit eigenen Augen sah, es seien Einzelfälle. Ich glaubte mich sicher, weil ich »nichts mit Politik zu tun« hatte, während ich verzweifelten Flüchtlingen bei mir zu Hause Unterschlupf bot oder ihnen half, über die Mauer einer Botschaft zu klettern, um dort um Asyl zu bitten. Ich bildete mir ein, wenn ich festgenommen würde, könnte ich erklären, daß ich das aus humanitären Gründen tat; ich lebte hinterm Mond, soviel steht fest. Ich bekam am ganzen Körper Ausschlag, konnte nachts nicht mehr schlafen, das Motorengeräusch eines Autos nach der Sperrstunde genügte, und ich lag stundenlang zitternd wach. Anderthalb Jahre brauchte ich, bis ich begriff, in welcher Gefahr ich schwebte, und schließlich,1975, nach einer besonders aufwühlenden und gefährlichen Woche, reiste ich nach Venezuela und nahm eine Handvoll chilenischer Erde aus meinem Garten mit. Einen Monat später kamen mein Mann und meine Kinder zu mir nach Caracas. Wahrscheinlich leide ich an der Krankheit vieler Chilenen, die in dieser Zeit fortgingen: Ich fühle mich schuldig, weil ich mein Land im Stich gelassen habe. Ich habe mich tausendmal gefragt, was geschehen wäre, wäre ich geblieben wie die vielen, die den Kampf gegen die Diktatur im Innern geführt haben, bis sie ihn schließlich 1989 gewannen. Auf diese Frage gibt es keine Antwort, aber eines weiß ich sicher: Ich wäre nicht Schriftstellerin geworden ohne die Erfahrung des Exils.
    In dem Moment, als ich an einem verregneten Wintermorgen die Kordillere der Anden überquerte, begann ich unbewußt damit, mir ein Land zu erfinden. Seither habe ich viele Male die Kordillere überflogen, und immer berührt es mich, denn die Erinnerung an diesen einen Morgen überfällt mich, als wäre es gestern gewesen, wenn ich auf das großartige Schauspiel der Berge hinabsehe. Die grenzenlose Einsamkeit der weißen Gipfel, der schwindelerregenden Abgründe, des tiefblauen Himmels ist für mich zum Sinnbild geworden für meinen Abschied von Chile. Ich hätte nie gedacht, daß ich so lange fortbleiben würde. Wie alle Chilenen – außer den Militärs – war auch ich überzeugt, die Soldaten würden schon wegen unserer Tradition bald in ihre Kasernen zurückkehren, es würde wieder Wahlen geben und wir hätten eine demokratische Regierung, wie wir sie immer gehabt hatten. Und doch muß ich etwas von dem vorausgefühlt haben, was dann kam, denn auf der geborgten Bettstatt in Caracas verbrachte ich meine erste Nacht untröstlich weinend. Tief innen spürte ich, daß etwas für immer vorbei war und mein Leben gewaltsam die Richtung änderte. Das Heimweh ergriff in dieser ersten Nacht von mir Besitz und ließ mich lange Jahre nicht mehr los, bis die Diktaturgestürzt war und ich mein Land wieder betrat. Bis dahin lebte ich, den Blick nach Süden gewandt, der Nachrichten harrend, den Augenblick der Rückkehr erwartend, während ich die Erinnerungen aussiebte, einige Ereignisse veränderte, andere überzeichnete oder übersah, mein Empfinden auf sie abstimmte und mir so Stück für Stück jenes Land der Vorstellung schuf, in das ich meine Wurzeln grub.
    Es gibt Exile die beißen und andere
    die zehren wie das Feuer.
    Es gibt Schmerzen von toter Heimat
    die aus der Tiefe steigen,
    von den Füßen und den Wurzeln,
    und plötzlich erstickt der Mensch
    schon kennt

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