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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und müssen sehen, wie sie mit ihrem knappen Lohn bis zum Monatsende über die Runden kommen. Auch fürchtet man, es könne das Land »destabilisieren« und das Militär provozieren, wenn man zu viele Fragen über die Vergangenheit stellt, was unbegründete Bedenken sind, denn die Demokratie hat sich in den Jahren seit 1989 gefestigt, die Streitkräfte sind nicht mehr so hoch angesehen, und militärische Machtübernahmen haben heutzutage keine Konjunktur. Trotz seiner vielfältigen Probleme – Armut, Ungleichheit, Kriminalität, Drogen, Guerrillabewegungen – hat sich Lateinamerika für die Demokratie entschieden, und die USA sehen langsam ein, daß eine Politik der Unterstützung tyrannischer Regime kein einziges Problem löst, sondern nur neue schafft.
    Der Putsch kam nicht aus dem Nichts; die Kräfte, auf die sich die Diktatur stützte, waren bereits vorhanden, wir hatten sie nur nicht wahrgenommen. Einige Unvollkommenheiten der Chilenen, die früher unter der Oberfläche verborgen gewesen waren, kamen in dieser Zeit zu Glanz undBlüte. Man kann unmöglich von einem Tag auf den anderen ein solch umfassendes System der Unterdrückung installieren, wenn nicht bereits Teile der Gesellschaft zum Totalitarismus neigen; offensichtlich waren wir doch nicht so demokratisch, wie wir angenommen hatten. Und die Regierung von Salvador Allende war nicht so unschuldig, wie ich gerne glauben möchte; es gab Unfähigkeit, Korruption, Arroganz. Im wahren Leben mischen sich Helden und Schurken, aber eines weiß ich sicher: Unter keiner demokratisch gewählten Regierung, auch nicht unter der Unidad Popular, ist es je zu solchen Greueln gekommen, wie sie mein Land zu erleiden hat, jedesmal wenn das Militär sich einmischt.
    Wie Tausende andere chilenische Familien verließen auch Miguel und ich mit unseren Kindern das Land, weil wir nicht weiter unter einer Diktatur leben wollten. Das war im Jahr 1975. Wir entschieden uns für Venezuela, weil es eines der letzten demokratischen Länder im von Militärdiktaturen geplagten Lateinamerika war und eines der wenigen, für das wir Visa und eine Arbeitserlaubnis bekommen konnten. Neruda schreibt:
    Wie kann ich leben so fern
    von dem, was ich geliebt, was ich liebe?
    Von den in Dampf und eisigen Dunst
    gehüllten Jahreszeiten?
    (Erstaunlicherweise waren es die Jahreszeiten meiner Heimat, die ich in jenen Jahren im Exil am meisten vermißte. Im beständigen Grün der Tropen war ich eine gänzlich Fremde.)
    In den siebziger Jahren erlebte Venezuela den Gipfel des Ölreichtums: Wie aus einer nimmer versiegenden Quelle sprudelte das schwarze Gold aus dem Boden. Alles schien einfach, mit dem geringsten Aufwand und einigen gutenBeziehungen lebte man besser als irgendwo sonst auf der Welt; das Geld floß in Strömen und wurde ohne Scham in einem nie endenden Fest verjubelt: Die Venezolaner tranken mehr Sekt als jedes andere Volk der Erde. Wir, die wir eben dem Terror entkommen waren und erlebt hatten, wie während der Wirtschaftskrise unter der Regierung der Unidad Popular selbst Toilettenpapier zum Luxusgut wurde, kamen aus dem Staunen nicht heraus. Der Müßiggang, die Verschwendung und die Freiheit in diesem Land waren uns ernsten, nüchternen, vorsichtigen Chilenen, die wir alles geregelt und durch Gesetze abgesichert haben wollten, unbegreiflich. Wie konnte man nur so ausgelassen und disziplinlos sein? An beschönigende Wortwahl gewöhnt, kränkte uns die schnörkellose Offenheit der Venezolaner. Wir waren Tausende, und bald kamen jene hinzu, die vor dem »schmutzigen Krieg« in Argentinien und Uruguay flohen. Manche trugen frische Spuren der Gefangenschaft, allen war die Niederlage ins Gesicht geschrieben.
    Miguel fand Arbeit in einer Provinz im Landesinnern, und ich blieb in Caracas mit den Kindern, die mich täglich baten, doch nach Chile zurückzugehen, wo ihre Großeltern waren, ihre Freunde, die Schule, kurz: alles, was sie kannten. Die Trennung von meinem Mann war fatal, letztendlich wohl der Anfang von unserem Ende als Paar. Wir waren keine Ausnahme, die meisten Ehen von Leuten, die Chile verließen, gingen darüber in die Brüche. Fern von daheim und von der Familie stehen die Partner sich allein, von allem entkleidet und verletzlich gegenüber, ohne den Druck der Verwandtschaft, die gesellschaftlichen Krücken und den Alltag, der sie einbettet. Das Drumherum macht es nicht besser: Man ist erschöpft, ängstlich, verunsichert, hat kein Geld, weiß nicht, was tun; lebt man dann noch

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