Mein erfundenes Land
Schlüsselstellen der Macht festsetzen, bereit, ihre ideologischen Widersacher ein für allemal auszumerzen. Das ist es, was in Chile geschah.
Das Abenteuer Sozialismus fand ein tragisches Ende. Die Militärjunta unter General Augusto Pinochet verschrieb sich den Doktrinen eines Raubtier-Kapitalismus, wie dieses neoliberale Experiment zuweilen genannt wird, und ignorierte völlig, daß es für ein ausgeglichenes Funktionieren von Marktwirtschaft einer Arbeiterschaft bedarf, die von ihren Rechten umfassend Gebrauch machen kann. Um noch den letzten Keim linken Gedankenguts auszurotten und einen ungehemmten Kapitalismus durchzusetzen, griff man zu brutalen Repressionen. Chile war kein Einzelfall, die lange Nacht der Diktaturen verdunkelte über Jahrzehnte weite Teile des Kontinents. 1975 lebte die Hälfte der BevölkerungLateinamerikas unter irgendeiner Form von repressivem Regime, und nicht selten wurden diese Regime von den USA unterstützt, die einen beschämenden Rekord darin halten, gewählte Regierungen anderer Staaten zu stürzen und Tyrannen zu protegieren, die sie auf eigenem Boden niemals dulden würden, wie etwa Papa Doc in Haiti, Trujillo in der Dominikanischen Republik, Somoza in Nicaragua, um nur einige zu nennen.
Ich merke, wie subjektiv ich werde, wenn ich über diese Ereignisse schreibe. Vielleicht sollte ich leidenschaftslos davon berichten, aber das hieße, meine Überzeugungen und Gefühle zu verraten. Dieses Buch will keine politische oder historische Chronik sein, sondern einige Erinnerungen bewahren, und die sind immer gefärbt von der eigenen Erfahrung und Weltsicht.
Der erste Teil meines Lebens endete an diesem 11. September 1973. Ich will darüber nicht zu viele Worte verlieren, denn schon die letzten Kapitel meines ersten Romans und mein Buch Paula erzählen davon. Die Familie Allende, das heißt, diejenigen, die noch lebten und nicht verhaftet oder abgetaucht waren, gingen ins Exil. Meine Brüder, die sich im Ausland aufhielten, kehrten nicht zurück. Mein Stiefvater, damals als Botschafter in Argentinien, blieb mit meiner Mutter noch eine Zeitlang in Buenos Aires, bis die beiden Morddrohungen bekamen und fliehen mußten. Meine Familie mütterlicherseits bestand dagegen in der Mehrzahl aus glühenden Gegnern der Unidad Popular, und zur Feier des Putschs ließ man die Sektkorken knallen. Meinem Großvater war der Sozialismus ein Greuel gewesen, und er hatte das Ende der Regierung Allende herbeigesehnt, aber doch niemals die Demokratie dafür opfern wollen. Er war entsetzt, die Militärs, für die er nichts übrig hatte, an der Macht zu sehen, und schärfte mir ein, daß ich mich nicht in Schwierigkeiten bringen sollte; aber ich konnte mich unmöglich aus allem heraushalten. Über Monate beobachtete er mich undstellte mir Fangfragen, weil er wohl ahnte, daß sich seine Enkelin jeden Moment aus dem Staub machen konnte. Wieviel wußte er von dem, was um ihn her geschah? Er lebte zurückgezogen, verließ fast nie das Haus und erfuhr von dem, was draußen vorging, nur durch die Zeitung, die log und vertuschte. Ich war vermutlich die einzige, die ihm von der Schattenseite der Medaille berichtete. Anfangs versuchte ich noch, ihn auf dem laufenden zu halten, weil ich als Journalistin Zugang zu dem geheimen Netz von Meldungen hatte, das die seriösen Informationsquellen zu jener Zeit ersetzte, aber irgendwann hörte ich auf, ihm schlechte Nachrichten zu bringen, weil ich ihn nicht traurig machen und erschrecken wollte. Freunde und Bekannte verschwanden, und manche tauchten nach Wochen wieder auf mit Wahnsinn im Blick und gezeichnet von der Folter. Viele suchten Zuflucht im Ausland. Mexiko, Deutschland, Frankreich, Kanada, Spanien und etliche andere Staaten nahmen sie zunächst auf, nach einer Weile jedoch nicht mehr, denn zu der Welle von Flüchtlingen aus Chile kamen Tausende von Exilsuchenden aus anderen lateinamerikanischen Ländern.
In Chile, wo Freundschaft und Familie sehr wichtig sind, war ein Phänomen zu beobachten, das sich nur mit dem Schaden erklären läßt, den die Angst in der Seele einer Gesellschaft anrichtet. Verrat und Denunzierung kosteten viele Menschen das Leben; eine anonyme Stimme am Telefon genügte, und der sogenannte »Sicherheitsdienst« nahm den Beschuldigten fest, von dem man dann häufig nie wieder etwas hörte. Die Bevölkerung war gespalten in Befürworter und Gegner des Militärregimes; Haß, Mißtrauen und Angst machten das Zusammenleben unmöglich. Seit über
Weitere Kostenlose Bücher