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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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gebraucht hätte.
    Aus Caracas schrieb ich an meinen Großvater, von dem ich mich nicht zu verabschieden gewagt hatte, weil ich ihm meine Gründe für die Flucht nicht hätte nennen können, ohne einzugestehen, daß ich mich über seine Anweisungen hinweggesetzt und mich in Schwierigkeiten gebracht hatte. Ich malte ihm unser Leben in leuchtenden Farben, aber man mußte kein Hellseher sein, um zwischen den Zeilen die Niedergeschlagenheit herauszulesen, und mein Großvater wird meine tatsächliche Verfassung geahnt haben. Bald wurden meine Briefe an ihn zu einem einzigen Sehnen nach daheim, zu einer bedächtigen Übung im Erinnern an Vergangenes und an das Land, das ich verlassen hatte. Ich las noch einmal Neruda und zitierte ihn in den Briefen an meinen Großvater, der mir manchmal mit den Versen anderer, älterer Dichter antwortete.
    Ich muß nicht genauer auf diese Jahre eingehen, auf das Gute, das geschah, und auf das Schlechte, auf die enttäuschenden Bemühungen, mich neu zu verlieben, die Anstrengungen und den Kummer, denn davon habe ich schon früher erzählt. Es genügt, wenn ich sage, daß ich mich einsamer und mehr denn je als ewige Fremde fühlte. Ich war von der Wirklichkeit abgeschnitten, lebte in einer eingebildeten Welt, während die Kinder an meiner Seite größer wurden und meine Ehe zerbrach. Ich versuchte zu schreiben, brachte aber nichts zustande, außer einem dauernden Kreisen um die immer gleichen Ideen. Abends, wenn die anderen zu Bett gegangen waren, schloß ich die Küchentür hinter mir und hieb stundenlang auf die Tasten der Underwoodein, füllte Seite um Seite mit denselben Sätzen und zerriß sie dann in tausend Fetzen wie Jack Nicholson in diesem Horrorstreifen Shining , von dem die halbe Welt über Monate Albträume bekam. Nichts ist geblieben von diesem Ringen, nichts als Papierschnipsel. Und so vergingen sieben Jahre.
    Am 8. Januar 1981 begann ich wieder einen Brief an meinen Großvater, der damals fast hundert Jahre alt war und im Sterben lag. Vom ersten Satz an wußte ich, daß dieser Brief nicht war wie die anderen und sein Adressat ihn womöglich niemals in Händen halten würde. Ich schrieb, um meinen Kummer darüber zu ersticken, daß dieser alte Mann, der Hüter meiner frühesten Erinnerungen, sich anschickte, die Welt zu verlassen. Ohne ihn, meinen Anker im Reich der Kindheit, schien mir das Exil besiegelt. Ich schrieb natürlich über Chile und die ferne Familie. In den vielen hundert Geschichten, die ich über die Jahre aus seinem Mund gehört hatte, fand ich mehr als genug Material: die Ur-Machos, die unsere Sippe begründet hatten, meine Großmutter, die die Zuckerdose nur kraft ihres Geistes bewegte, Tante Rosa, gestorben im ausgehenden 19. Jahrhundert, die des Nachts zu Besuch kam, um Klavier zu spielen, der Onkel, der in einem lenkbaren Ballon die Kordillere zu überqueren versucht hatte, und so viele andere Gestalten, die vor dem Vergessen bewahrt werden sollten. Wenn ich meinen Kindern von ihnen erzählte, schauten sie mich mitleidig an und verdrehten die Augen. Nachdem sie so lange geweint hatten, weil sie nach Hause wollten, hatten sich Paula und Nicolás schließlich doch in Venezuela eingelebt, sie wollten nichts hören von Chile und erst recht nichts von ihrer verrückten Mischpoke. Sie hielten sich heraus, wenn die Exil-Chilenen in ihrem Heimweh schwelgten, wenn wir vergeblich versuchten, mit karibischen Zutaten chilenische Gerichte zu kochen oder die chilenischen Feiertage mit kläglichen Festen begingen. Meine Kinder schämten sich dafür, daß sie Ausländer waren.
    Bald wußte ich nicht mehr, wohin dieser sonderbare Brief mich führen würde, doch ich schrieb ohne Unterlaß weiter, und als das Jahr vorüber war, war mein Großvater gestorben, und auf meinem Küchentisch lag mein erster Roman, Das Geisterhaus . Hätte man mich damals gebeten, ihn zu beschreiben, ich hätte gesagt, er sei ein Versuch, mein verlorenes Land zurückzugewinnen, die in alle Winde Zerstreuten zu vereinen, die Toten zum Leben zu erwecken und die Erinnerungen zu bewahren, die sich bereits im Strudel des Exils verloren. Meine Vorhaben waren nicht bescheiden… Heute gebe ich eine einfachere Erklärung: Ich hatte wahnsinnig Lust, diese Geschichte zu erzählen.
    Ich habe ein romantisches Bild von Chile, das zu Beginn der siebziger Jahre auf Eis gelegt wurde. Über Jahre glaubte ich, mit der Rückkehr zur Demokratie werde alles wie früher sein, aber selbst dieses konservierte Bild war

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