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Mein Erzengel (German Edition)

Mein Erzengel (German Edition)

Titel: Mein Erzengel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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für eine Weile in ihr Bett. Ihr Freund ließ sie gewähren, Eifersucht war damals als bürgerliches Besitzdenken verpönt, und er wusste, dass er sie so noch am ehesten würde halten können.
    Den meisten Spaß machten ihr die konspirativen Treffen in Prag, unter der Bronzebüste Kafkas. Ruth hielt eine London Times unter den Arm geklemmt und blickte hinauf zu dem von ihr verehrten Schriftsteller. «Folgen Sie mir», flüsterte ihr die Kontaktperson im Vorübergehen zu. Im Park tauschten sie dann ihre Nachrichten aus. Einmal hatte sie den Auftrag, das Polizeipräsidium zu fotografieren. Sie tat, wie ihr aufgetragen, und eilte davon, aber schon hörte sie in der schmalen Gasse Stiefelschritte hinter sich. So hatte sie nun das Vergnügen, das Polizeipräsidium auch von innen kennenzulernen. Sie sagte ihre vorbereitete Erklärung auf, sie sei Architekturstudentin und würde moderne Gebäude fotografieren. Natürlich glaubten sie ihr kein Wort, begnügten sich aber damit, ihr den Film abzunehmen. Ein andermal hätte sie, in der Eisenbahn in ihre Lektüre vertieft, beinahe die Grenze übersehen. Schon arbeiteten sich die tschechischen Grenzbeamten zu ihrem Abteil vor, und Ruth hatte noch alle ihre Briefchen in der Handtasche. In letzter Minute stürzte sie zur Toilette, um sie sich an die Haut zu kleben. Angst hatte sie nie, sie war jung und kühn, die Zukunft gehörte ihr. Außerdem vertraute sie der österreichischen Regierung, die sie im Bedarfsfall aus einer schwierigen Lage befreien würde. Andere Zeiten eben.

    Es war nicht so, dass Ruth in ihren wilden Jahren immer glücklich gewesen wäre, oft hätte sie ein ruhiges, zufriedenes Eheleben dem ewigen Auf und Ab vorgezogen, doch war der Schmerz einmal verraucht, hatte sie die Fähigkeit, unangenehme Erfahrungen in erzählbare Geschichten umzumünzen, wobei sie die allerpeinlichsten Szenen gern ins Komische wendete.
    Unvergesslich zum Beispiel bleibt ihr die Nacht, als sie sich an einem Verflossenen rächte. Helmut war ein harter Knochen, der zwischen kindlicher Offenheit und eisiger Kälte changierte und insofern Michaël ähnelte. Er hatte schulterlanges blondes Haar, dessen Innenrolle er sorgsam pflegte, und war der erste jüngere Mann in ihrem Leben. Helmut hatte eine schöne, sanfte Stimme und war, wenn er ihr einmal einen Blick in sein Herz gewährte, von einer betörenden Weichheit, die Ruth in der Überzeugung wiegte, sie sei nun endlich dem vielgepriesenen Neuen Mann begegnet, der die perfekte Ergänzung zu einer kämpferischen Feministin abgab. Doch diese Momente der Zartheit, die sie in Liebe zu ihm entbrennen ließ, waren erkauft mit langen Wartezeiten, während die Rollos vor seinen Augen heruntergezogen blieben und er unerreichbar war. Um dieser seltenen Momente willen nahm sie unendlich scheinende Perioden von Frustration und Demütigungen in Kauf. Schritt für Schritt wich er vor ihrer Leidenschaft zurück, um gelegentlich wiederzukehren und ihr erneut einen jener seltenen Augenblicke zu gönnen. Viel zu lange ließ sich Ruth dieses Gezerre gefallen, bis sie eines Nachts beschloss, einen Schlussstrich zu ziehen.
    «Ist es wahr, dass du …?», wurde sie erst kürzlich wieder gefragt, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ereignis. Ja, es ist wahr. Bewaffnet mit einer Spraydose machte sie sich auf die Suche nach Helmuts Auto, einem Fiat, den er erst kürzlich erworben hatte. Seinen ganzen Stolz besprühte sie mit schlaff zu Boden hängenden lilafarbenen Männerzeichen. An die feministischen Slogans, die sie ihrer bildlichen Botschaft hinzufügte, kann sie sich nicht mehr erinnern.
    «Was tun Sie da?», sagte plötzlich eine Männerstimme, und eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter.
    Ruth drehte sich um und schaute in ein müdes Gesicht.
    «Das sehen Sie ja. Wollen Sie mich jetzt mitnehmen zur Polizei? Bitte schön!»
    Voller Wut und Triumph streckte Ruth dem Mann im Parka ihre beiden Hände überkreuzt entgegen. Doch der hatte keine solchen Absichten.
    «Hat er dich stehenlassen?», fragte er lachend und lud Ruth auf ein Bier ins Beatrix-Stüberl ein, ein Eckbeisl am unteren Ende der Ungargasse, der Ingeborg Bachmann in ihrem Roman «Malina» ein Denkmal gesetzt hatte.
    «Das müssen aber Sie bezahlen, ich hab kein Geld dabei. Ich wollte nur schnell diese Sache da erledigen und schlafen gehen.»
    Damals ließ sich Ruth normalerweise niemals etwas von einem Mann bezahlen.
    Es wurde eine angenehme Nacht. Auf das erste Bier folgten ein zweites und

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