Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
machen, ist Ausdruck von Führung. Als ich mal ziemlich frustriert war, weil mal wieder falsch war, wie wir’s gemacht hatten, und wir deshalb von allen kritisiert wurden, traf ich Madeleine Albright. Sie fragte, warum ich so schlechter Stimmung sei, und ich sagte: »Ach, es ist alles furchtbar – handeln wir, werden wir kritisiert, handeln wir nicht, werden wir auch kritisiert.« Da lachte sie laut und sagte: »Well, that’s the predicament of leadership. That’s our everyday experience as United States.« Da hat sie recht. Allen kann man es nie recht machen, aber das darf einen vom Handeln nicht abhalten. Eines allerdings muss klar sein: Es muss mit Frankreich zusammen geschehen, Deutschland muss mit Frankreich zusammen handeln.
SCHMIDT:
Ich stimme uneingeschränkt zu.
FISCHER:
Leider wird zurzeit in Berlin, in politischen Kreisen, in medialen Kreisen, wohin ich auch komme, Frankreich-Bashing betrieben, oft mit einer sehr penetranten Arroganz. Das wird in Paris durchaus wahrgenommen, vor allem wenn es aus den Regierungsfraktionen kommt, in dem Falle jetzt aus den Reihen von CDU und CSU , und das ist alles andere als hilfreich, wie ich vor kurzem im Élysée erleben durfte. Dass man in Deutschland heute mit einer gewissen Arroganz auf Frankreich blickt, das würde ich als Erstes mal einstellen. Frankreich hat Probleme, aber so schwach und so verarmt, so bewegungslos, wie wir tun, ist das Land nicht – wir dürfen nicht die Kommentare der
Financial Times
zur Grundlage der deutsch-französischen Beziehungen machen. Hollande hat meines Erachtens ein Darstellungsproblem, das große Thema, das die Wende symbolisieren sollte, ist nicht zu sehen.
DIE ZEIT:
Zwei Schlussfragen. Die eine zunächst an Herrn Fischer: Würden Sie sich als gelernter Europäer bezeichnen, oder sind Sie bereits europäisch aufgewachsen?
FISCHER:
Ich bin in einer Zeit geboren und groß geworden, da war Europa das große Thema in beiden politischen Lagern – rechts wie links. Ich bin da hineingewachsen, man ist Europäer geworden, ob man wollte oder nicht – es war einfach eine Realität, genauso wie der Kalte Krieg eine Realität war. Ich habe in einem Dorf zehn Kilometer Luftlinie von Ludwigsburg entfernt gewohnt, als de Gaulle 1962 nach Ludwigsburg kam und seine große Rede an die Jugend hielt. Die historische Tragweite habe ich nicht richtig verstanden, aber gespürt hab ich’s schon, und das ging nicht nur mir so, das wurde in breiten Bevölkerungsschichten so wahrgenommen. Und jetzt hat mich beim Jahrestag des Élysée-Vertrags erstaunt, wie viel Emotionalität in den deutsch-französischen Beziehungen noch steckt – zumindest kann ich das von deutscher Seite sagen – und wie wenig die aktuelle Politik daraus macht. Emotionalität ist kein schlechter Baustoff für die Politik.
SCHMIDT:
Zu der Zeit von Giscard d’Estaing und mir – sieben gemeinsame Jahre als Regierungschefs, zuvor zwei gemeinsame Jahre als Finanzminister – sind alle diese Fragen, von denen wir hier heute sprechen, in der öffentlichen Diskussion kaum berührt worden. Alle europäischen Politiker nahmen es als eine Tatsache, dass die Europäische Union durch Frankreich und Deutschland gemeinsam geführt wurde. Wobei der Deutsche immer Wert darauf gelegt hat, dass auf dem roten Teppich Giscard zuerst marschierte und der Deutsche als zweiter. Die kleineren Mitgliedsländer, die Holländer zum Beispiel und ein bisschen auch die Belgier, haben uns das ein wenig übel genommen, aber im Grunde haben sie es doch akzeptiert. Nicht akzeptiert haben es die Engländer, egal ob Labour oder Konservative, ob Harold Wilson oder Maggie Thatcher. Die Selbstverständlichkeit, mit der die französisch-deutsche Führung akzeptiert wurde, ist 1989 / 90 zu Ende gegangen. 1991 / 92 hat man in den Maastricht-Beschlüssen einerseits allzu viele Staaten in die Währungsunion eingeladen, andererseits hat die französisch-deutsche Führung der Währungsunion das objektiv notwendige finanzpolitische Korsett vorenthalten.
DIE ZEIT:
Herr Schmidt, in dem letzten Beitrag, der in diesem Band abgedruckt ist, machen Sie die Medien mitverantwortlich für das, was Sie »das Missvergnügen an der EU « nennen. Wenn die Medien überhaupt auf das Thema einsteigen, dann reiten sie die große antieuropäische Welle – denken Sie an die Stimmung, die
Bild
und
Spiegel
während der Griechenland-Krise gemacht haben. Was machen wir falsch?
FISCHER:
Es ist eigentlich dieselbe
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