Mein fremder Bruder
versuchte Rehana, das gesamte Bettgestell in die Senkrechte zu stellen, damit sie den Boden besser durchsägen konnte. Maya half ihr, es aufzurichten, an die Wand zu lehnen und festzuhalten, während Rehana auf einem Stuhl stand und sägte.
»Ich mache das für dich«, sagte Ammu, als sie sich dem Kopfende näherte. Sie stieg vom Stuhl herunter.
»Was?«
Rehana wischte sich die Stirn. »Ich brauche was zu trinken.«
»Halt fest«, sagte Maya und zeigte ihr, wo sie das Bettgestell halten sollte. »Ich hole dir ein Glas Wasser.«
Als sie zurückkam, stand Ammu noch genauso da wie zuvor, eine Hand am hochgekippten Bett, die andere in die Hüfte gestützt. Sie trank das Glas in einem Zug aus.
Das Bett war aus dickem, schön geschnitztem Teakholz. Es stand in diesem Zimmer, solange Maya denken konnte, eines der wenigen Hochzeitsgeschenke, die ihre Mutter bekommen hatte. Ein Erbstück. Doch seine Zerstörung schien ihr große Befriedigung zu verschaffen.
Sie brauchten mehr als eine Stunde, um das Kopfbrett durchzusägen; das Holz war sehr hart und widersetzte sich ihren Bemühungen. Sie wechselten sich an der Säge ab. Holzspäne hingen an ihren Kleidern wie kleine Wiesenkäfer.
Als sie fertig waren, sahen die beiden Hälften von Rehanas Bett wie der Rumpf eines Schiffes aus. Rehana sagte: »Sohail ist bald wieder da, dann mußt du dir wieder das Schlafzimmer hier mit mir teilen. Ich will, daß du wenigstens ein eigenes Bett hast. Wenigstens das.«
»Das Bett braucht Beine«, sagte Maya.
Im Gartenhaus waren ein paar Holzklötze, die Maya hereinschaffte. Nägel oder Leim hatten sie nicht, auch kein Schmirgelpapier, um die Kanten zu glätten. Die Sägekante war einigermaßen gerade, aber splittrig.
In dieser Nacht legten sie sich im Wohnzimmer schlafen. Mit nichts als dem Teppich unter ihnen war es ungemütlich, die Dezemberkälte saß tief im roten Betonboden.
»Er kommt ja wieder, oder?« fragte Rehana, nachdem sie das Licht ausgemacht und die Bettdecke unter den Füßen festgesteckt hatten.
»Natürlich kommt er wieder«, antwortete Maya. Er mußte. Er mußte am Leben sein und zurück nach Hause kommen. Zuviel war geopfert worden, als daß ein anderes Ende denkbar war. Die Siegesfeier hatte Maya verpaßt, aber das machte ihr nichts aus. Ammu bereitete sie auf das Leben nach dem Krieg vor: neue Betten, ein Zimmer für Sohail. Mit diesem Trost schlief sie beruhigt ein.
Die nächsten Jahre schliefen die beiden in dem entzweigesägten Bett: nach Piyas Ankunft, Sohails Bekehrung, seiner Hochzeit und seinem Umzug nach oben. Während Mayas Abwesenheit hatte Ammu dann einen Tischler kommen lassen, der das Bett wieder zusammengeleimt hatte. Jetzt war es wieder ganz, nur eine schmale Linie quer durch das Kopfende war zu sehen, wenn man genau hinsah, ein langer, zackiger Blitz.
*
»Ich habe etwas für die nächste Ausgabe. Ich würde es gern unter meinem vollen Namen veröffentlichen.«
Shafaat hockte breit auf seinem Stuhl. »Na klar, meine Liebe, was wollen Sie denn loswerden?«
»Es geht um den Krieg –«
»Ob Sie wohl so lieb sein und mir eine Tasse Tee besorgen könnten? Ich bin völlig ausgetrocknet.«
Mistkerl. Sie beschloß, sich auf keine Diskussion einzulassen, sondern ging zur Teeküche, setzte Wasser auf, machte ihm eine Tasse Tee und stellte sie unsanft neben seinem Ellbogen auf den Tisch. Er blickte nicht auf.
»Wo ist Aditi?« fragte sie.
»In der Druckerei. Sie versucht, einen besseren Preis für uns auszuhandeln, damit wir das nächste Mal 800 Exemplare drucken lassen können.« Er fing wieder an, die Schreibmaschine zu bearbeiten.
»Also, wie ich bereits gesagt habe.«
Er hielt inne, beide Zeigefinger in der Luft. »Sie wollen unter Ihrem vollen Namen schreiben? Ich glaube, die Leser würden sich lieber an S. M. Haques neuesten Giftigkeiten erfreuen.« Er trank einen großen Schluck Tee. »Haben Sie etwa Kondensmilch in den Tee getan?«
»Kondensmilch und Zucker. Ich dachte, Sie sind fürs Süße.«
»Bin ich auch, aber Kondensmilch mag ich nicht. Bitte machen Sie mir einen neuen. Mit Milch und Zucker.« Als er sah, wie sich ihr Gesicht verdüsterte, sagte er: »Na kommen Sie, das dauert doch nur eine Minute! Ein kreativer Mensch braucht seinen Tee.«
Als er den zweiten Versuch schlürfte und zustimmend nickte, sagte sie: »Jahanara Imam will ein Volkstribunal ins Leben rufen. Für alle Kriegsverbrecher.«
Er ließ die Tasse sinken. »Haben wir darüber nicht schon endlos debattiert?
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