Mein Freund Jossele
über der Badewanne prangende Marmortafel, die seine Bronzeplatte pompös überschattete: »Für alle Zeiten trage diese Wanne den Namen des Ehepaars Max und Bella Kaminsky, Chicago, 111.«
Jossele krümmte sich vor Verlegenheit:
»Bitte, bedenken Sie die Platzschwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen habe. Ich muss in einer verhältnismäßig kleinen Wohnung achtundsiebzig Tafeln unterbringen . . .«
Glücklicherweise rottete sich in diesem Augenblick die Philadelphia-Gruppe zusammen, um auf das Dach hinaufzusteigen und zu fotografieren. Ihr geistiger Führer, Rabbi Menachem Suk, nahm in stolzer Haltung seinen Platz vor der massiven Kupferplakette ein, deren Goldumrahmung in der Sonne glitzerte:
»Die Fernseh-Antenne, die sich hier erhebt, dankt ihr Vorhandensein der brüderlichen Liebe einiger Bewohner der Stadt Philadelphia, Pa., namentlich den Damen Ruth Bialazurkevits und Martha Taubmann, den Herren M. J. Krupskind und I. T. Seligson sowie dem Ehepaar Berl und Golda Rosenbloom samt ihren Kindern John, Franklin, Evelyn, Harry und Daisy-May.« Allmählich ging die Feier zu Ende, es gab keine Brötchen mehr, der Harmonikaspieler musste einer anderen Verpflichtung nachkommen, und Jossele klopfte ans Glas. In einer kurzen, herzlichen Ansprache dankte er allen Spendern, würdigte die Opferbereitschaft, mit der sie auf eigene Kosten angereist waren, um sich davon zu überzeugen, dass sie in Israel symbolisch Fuß gefasst hatten, und verabschiedete sich von jedem einzelnen mit Handschlag.
»Ich hätte sie alle küssen mögen«, sagte ich hernach. »Alle. Bis auf einen.«
Und er führte mich in sein Schlafzimmer, wo sich meinem erstaunten Blick eine Messingtafel mit folgender Inschrift darbot:
»Diese Messingtafel stiftete Mr. Norman B. Goldberg, Bronx, N. Y.«
Ehrlich, aber nicht offen
Wir saßen, wie üblich, im Kaffeehaus. Uns gegenüber kauerte unser alter Freund Stockler, Besitzer eines gutgehenden Parfümerieladens und eines weithin sichtbaren Nervenzusammenbruchs.
»Jedes Jahr dasselbe«, stöhnte er. »Im Juli werde ich zum Wrack.«
Jossele nickte verständnisvoll:
»Ich weiß. Die Einkommensteuererklärung. Schwindeln Sie, Herr Stockler?«
»Leider nicht. Ich muss gestehen, dass ich ein erbärmlicher Feigling bin. Und was mich am meisten deprimiert: es hilft mir nichts. Meine Bücher sind korrekt geführt, jeder einzelne Posten ist nachprüfbar richtig - und jedes Jahr werden meine Aufstellungen zurückgewiesen, weil sie angeblich falsch, unvollständig und frisiert sind. Was soll ich machen?«
Jossele schüttelte ungläubig den Kopf, und seine Stimme klang vorwurfsvoll:
»Sagen Sie, Herr Stockler: sind Sie ein kleines Kind? Oder sind Sie vom Mond heruntergefallen?
Sie nehmen Ihre Bücher, legen Sie dem Steuerprüfer vor - und erwarten allen Ernstes, dass er Ihnen glaubt? Sie tun mir wirklich leid.«
Stockler schluchzte leise vor sich hin.
Seine Tränen rührten nach einer Weile Josseles Herz:
»Haben Sie Betttücher zu Hause, Herr Stockler? . . .«
Nicht lange danach, an einem regnerischen Vormittag, begab sich Stockler auf sein zuständiges Finanzamt, betrat das Zimmer seines zuständigen Steuerreferenten, nahm auf dessen Aufforderung hin Platz und senkte den Kopf.
»Herr Referent«, sagte er, »ich muss Ihnen ein Geständnis machen. Ich habe im abgelaufenen Steuerjahr keine Bücher geführt.«
»Stehlen Sie mir nicht meine Zeit mit dummen Witzen«, erwiderte der Beamte missmutig. »Was wünschen Sie?«
»Es sind keine Witze. Es ist die Wahrheit. Ich habe keine Bücher geführt.«
»Einen Augenblick. Sie wollen doch nicht sagen, dass Sie keine Bücher geführt haben?«
»Doch. Genau das will ich sagen. Das heißt: ich habe sie geführt, aber ich habe sie nicht.«
Jetzt war es mit der Selbstbeherrschung des Beamten zu Ende.
Sein bisher ruhiger Bass überschlug sich zu jähem Falsett:
»Was heißt das: ich habe sie - ich habe sie nicht?! Wieso haben Sie sie nicht?!«
»Ich habe sie verloren.«
»Verloren?! Wieso? Wie? Wann? Wo?«
»Ja, wenn ich das wüsste. Eines Tages konnte ich sie nicht mehr finden. Sie waren weg. Vielleicht verbrannt, ohne dass ich es bemerkt hätte. Oder gestohlen. Jedenfalls sind sie verschwunden. Es tut mir leid, aber so ist es. Vielleicht könnte ich mein Einkommen ausnahmsweise aus dem Gedächtnis angeben, das wäre am einfachsten. Es war ohnehin ein sehr schwaches Jahr. Ich habe praktisch so gut wie nichts verdient . . . Warten Sie . . .«
Der
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