Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
folgte die der Unterkünfte. Wenn man einmal dabei durchfiel, bekam man einen Eintrag. Je öfter man durchfiel, desto schlimmer wurden die Strafen, zum Beispiel musste man vor dem Schlafengehen das Quartier so gründlich reinigen, dass jemand mit einem weißen Handschuh über alle Oberflächen fahren konnte, ohne dass er schmutzig wurde. Im schlimmsten Fall musste man in den sogenannten Schweinestall . Das bedeutete, dass man auf einer alten Matratze im verfallenen Big House schlafen musste, wo es Fledermäuse gab. Ich kam nie in den Schweinestall, aber meine Freundin erzählte mir in allen schrecklichen Einzelheiten, wie unzählige Fledermäuse ihr um den Kopf geschwirrt wären und so gruselig gekreischt hätten, dass sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hätte. Ich stand mit den Kindern aus meinem Zimmer, das jetzt Zimmer 9 war, sogar täglich eine Viertelstunde früher auf, um mehr Zeit zum Putzen zu haben, damit wir niemals im Schweinestall landeten.
Nachdem alle Inspektionen beendet waren, kam die Chinesenschule . Chinesenschule hieß Nachsprechen: Wir mussten alles genau so wiederholen, wie wir es gehört hatten. L. Ron Hubbard hatte den Begriff Chinesenschule gewählt, weil er den Unterricht der Chinesen beobachtet hatte und beeindruckt gewesen war, wie gut dort die Schüler dem Lehrer folgten.
In LRH s Version der Chinesenschule wurden Zitate von ihm in großen Buchstaben auf Papier geschrieben, sodass wir sie alle lesen konnten, wenn sie vor uns in die Höhe gehalten wurden. Jemand rief laut einen Teil des Zitats und sagte dann: »Was ist das?« Dann sprachen wir das Zitat mehrfach einstimmig, laut und deutlich nach, am Ende auswendig, ohne einen Blick auf das Blatt Papier zu werfen. Eine besondere Lektion galt dem Backflashing . Backflashes war der scientologische Begriff für Widerworte. »Backflashes sind unnötige Antworten auf einen Befehl …« Diesen Grundsatz wiederholten wir so lange, bis jeder ihn fehlerfrei aufsagen konnte.
Die Eintönigkeit war überwältigend, hatte aber den gewünschten Effekt. Oft war es schon schwer genug, darüber nachzudenken, was diese Parolen eigentlich bedeuteten, damit man sie korrekt rezitieren konnte. Noch schwerer war es, sie in Frage zu stellen. Die Zitate von LRH wurden häufig ausgetauscht, sodass wir viele von ihnen auswendig lernten. Der ganze Prozess sollte dafür sorgen, dass uns die Grundsätze in Fleisch und Blut übergingen. Rückblickend ging es jedoch eher darum uns einzubläuen, nichts zu hinterfragen, nicht eigenständig zu denken, sondern alles ohne jeden Zweifel zu akzeptieren. Wir waren so jung, dass wir alles wie ein Schwamm aufsaugten, und so naiv, dass wir nicht wussten, wie problematisch es ist, alles zu glauben, was einem beigebracht wird.
Manchmal wagten es ältere Kinder, die Autoritäten in Frage zu stellen. Wie viele andere Kadetten konnte ich nicht begreifen, warum sie nicht einfach dem Kodex folgten. Sie forderten Ärger geradezu heraus und mussten dann vortreten und die Konsequenzen erdulden. Jedes Mal, wenn es geschah, musste ich zusehen, wie sie bestraft wurden.
Der Morgenappell endete nach der Chinesenschule, und danach begann der nächste Abschnitt – die Posten –, der bis zum Frühstück dauerte. Alle Kinder hatten, ganz gleich, wie alt sie waren, Posten, die manchmal gewechselt oder dem Alter angepasst wurden. Als ich mit sechs Jahren Kadett wurde, bekam ich den Posten des Platzwarts, der dafür zuständig war, einen bestimmten Bereich auf Vordermann zu bringen und in Ordnung zu halten. Dazu war körperliche Arbeit gefragt, aber nicht alle Posten erforderten das. Bei manchen musste man der Gruppe auf andere Weise helfen. Nach ein paar Monaten wurde ich Medical Liaison Officer – medizinischer Verbindungsoffizier, kurz MLO –, obwohl ich erst sieben war. Dazu musste ich zu jedem Kind auf der Ranch gehen und eine Krankenliste zusammenstellen. Ich musste jeden Einzelnen fragen, ob er irgendwelche Krankheiten hatte. Das konnte alles Mögliche sein, von Erkältung bis zu Ausschlägen, von trockener Haut bis zu Fußpilz.
Alle Informationen schrieb ich auf. Dann versuchte ich, die Krankheiten zu behandeln. Ein Erwachsener von der Ranch hatte mir ein paar grundlegende Dinge beigebracht, zum Beispiel darüber, welche Creme gegen trockene Haut und welche gegen Fußpilz war.
Zusätzlich dazu musste ich Vitamine verteilen. Es war meine Aufgabe, für jedes Kind individuelle Vitaminmischungen zusammenzustellen. Da ich bereits sehr
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