Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Kadetten wurden als Sea Org-Mitglieder in Ausbildung betrachtet und mussten sich daher genauso bindend verpflichten.
Zuerst wusste ich nicht viel über den Vertrag. Als ich klein war, hatte ich zwar hier und da etwas davon gehört, aber erst am Tag der Unterzeichnung wurde mir erklärt, worum genau es ging. Die Unterschrift gehörte zum Curriculum, nur so konnte man Sea Org-Mitglied werden und in den Genuss der Ausbildung kommen. Obwohl der Vertrag für eine Milliarde Jahre galt, zögerte ich nicht: Ich wurde zur Unterschrift aufgefordert, und es war meine Aufgabe, den Anweisungen zu folgen. Außerdem kann man sich mit sieben große Zahlen nur schwer vorstellen, ob es nun Tausend war oder eine Milliarde, ich hatte einfach kein Empfinden für einen solch gigantischen Zeitraum. Wir verpflichteten uns zwar für eine lange Zeit, aber das hatten unsere Eltern auch getan.
Am Tag der Unterzeichnung standen alle Kinder in einer Schlange vor den Tischen, auf denen die Verträge lagen. Nacheinander unterschrieben wir. Da ich eigentlich nichts anderes mit meinem Leben anfangen wollte, als Sea Org-Mitglied zu werden, wäre es albern gewesen, zu zögern und über Alternativen nachzudenken. Ich hätte nicht einmal gewusst, welche Möglichkeiten ich sonst noch hatte. Ich wollte nur mit meinen Eltern zusammen sein und jeden Tag mit ihnen arbeiten. Ich wusste, wenn ich die Kadettenschule absolvierte und ein vollwertiges Sea Org-Mitglied werden würde, wenn ich anständig und gehorsam wäre, dann würde ich eine Stelle auf der Int Base bekommen und meine Eltern häufiger als nur einmal pro Woche sehen. Das war für mich Grund genug, um meine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen.
Mit der Umsetzung der neuen Reglementierung wurde die Ranch zur Cadet Organization – einem Internat für Kadetten – und ähnelte immer mehr einem militärischen Bootcamp mit zermürbenden Drillübungen, endlosen Appellen und harter körperlicher Arbeit, die keinem Kind zugemutet werden sollte. Von dem Moment an, wenn wir aufwachten, bis zu dem, wenn wir wieder ins Bett fielen, gab es kaum freie Zeit. Die einzige richtige Pause hatten wir nur samstagabends und sonntagmorgens, wenn wir unsere Eltern sahen. Zwischen Drillübungen, Hausarbeit, Diensten, Posten und Unterricht war alles bis auf die Minute geplant. Der Umstand, dass mein Onkel das Oberhaupt von Scientology war, schützte mich nicht und sprach mir auch keine Sonderbehandlung zu.
Tatsächlich begann zu diesem Zeitpunkt meine scientologische Indoktrinierung. Zuvor waren nur meine Eltern in der Sea Org gewesen, und mein Leben wurde durch ihre Stundenpläne und Dienste für die Kirche geprägt. Jetzt hatte ich meine eigenen Stundenpläne und Pflichten. Die Veränderungen gingen jedoch über das rein Organisatorische hinaus; mir wurde nun die Sichtweise der Sea Org eingeimpft. Die Indoktrinierung wurde gestützt durch die extreme Abschottung zur Außenwelt. Bis auf seltene Ausnahmen waren wir von Nicht-Scientologen und Andersgläubigen vollkommen isoliert. Wenn wir die Ranch verließen, ging es meistens zur ebenso isolierten Int Base, in der natürlich die erbittertsten Verfechter von Scientology lebten, darunter die Eltern von uns allen.
Selbst wenn es uns erlaubt gewesen wäre, Ausflüge zu unternehmen, hätte das auch nicht viel geändert. Denn nur wenige waren neugierig auf das Leben außerhalb unserer Grenzen, da man uns glauben machte, dort gäbe es nur dumme Menschen, Unwissende, die wir Wogs nannten, Well and Orderly Gentlemen – brave und rechtschaffene Bürger. Wir hatten gelernt, dass Wogs vollkommen unerleuchtet waren. Wenn wir erst einmal genug über Auditing und Scientology gelernt hätten, würde es unsere Aufgabe sein, sie zu clearen . Ansonsten sollten Wogs gemieden werden, da sie nicht im Geringsten wussten, was wirklich vorging. Dieses Unbewusstsein spiegelte sich in ihren banalen Prioritäten wider. Wogs stellten gerne viele Fragen. Man lehrte uns, dass sie unseren Lebensstil beunruhigend fanden, daher mussten wir darauf achten, ihnen gegenüber nur in Begriffen zu sprechen, die sie verstehen konnten.
Wenn man sich unangepasst verhielt oder Dinge ständig hinterfragte, wurde man mit Drohungen, Strafen und Demütigungen vor den Augen der gesamten Gruppe sanktioniert. Wenn man zu spät kam, bei einer Inspektion durchfiel oder sich unethisch verhielt, bekam man einen Eintrag, manchmal sogar mehrere am Tag. Eine Kopie dieses Eintrags erhielt man selbst, die andere kam in die
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