Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
gut lesen konnte, lernte ich die Beschaffenheit und Wirkung vieler verschiedener Vitamine. Das klingt vielleicht kompliziert, aber im Grunde war es wesentlich einfacher zu verstehen als einige andere Schriften, die wir für Scientology lesen sollten. Ich kannte die Wirkung aller Vitamine und wusste, dass manche, wie zum Beispiel Vitamin A, überdosiert werden konnten. Außerdem wusste ich, dass es ein gewisses Gleichgewicht bei den Vitaminen gab, war mir aber nie sicher, wie ich das erreichen sollte. Deshalb war ich vorsichtig und gab allen nur jeweils eine Tablette jedes Vitamins. Die Kombinationen, die ich zusammenstellte, bestanden normalerweise aus Vitamin A, D, B, C und E, dazu kam Knoblauch. Bei den Spurenelementen folgte ich einfach den Anweisungen auf dem Röhrchen. Jemand mit Erkältung bekam Zink, Alfalfa, Kanadische Gelbwurzel, extra Knoblauch und Echinacea. Vor dem Frühstück schüttete ich zusätzlich Vitamin C-Brause in den Orangensaft und träufelte flüssige Spurenelemente in jeden Becher.
Außerdem musste ich einen besonderen Trank namens Cal-Mag anrühren, den alle vor dem Schlafengehen zu sich nahmen. Der von LRH erfundene Trank bestand aus Calcium, Magnesium, Apfelessig und kochendem Wasser, das danach abkühlen musste. Er sollte zur inneren Reinigung dienen. Allerdings kannte ich noch nicht den Unterschied zwischen einem Ess- und einem Teelöffel und gab daher oft fälschlicherweise einen Esslöffel statt eines Teelöffels Magnesium hinzu, worauf dieses ohnehin schon schrecklich schmeckende Gebräu trüb wurde und genau wie schmutzige Füße schmeckte. Außerdem war es während der Mahlzeiten meine Aufgabe, allen, die sich in Quarantäne befanden, das Essen zu bringen.
Wenn jemand sich geschnitten hatte, reinigte ich die Wunde mit Wasserstoff-Peroxyd und klebte ein Pflaster darauf. Wenn es heiß war, sorgte ich dafür, dass alle Kinder genug Salz, Kalium und Zellsalz bekamen. Klagte jemand über Kopfschmerzen, Fieber oder andere Schmerzen, gab ich ihm normalerweise ein Assist . Assistswaren von LRH entwickelte Sonderbehandlungen, die ich schon in der Tagesstätte in L. A. gelernt hatte. Sie sollten den Menschen helfen, mit ihren Körpern besser Verbindung aufnehmen zu können. Zusätzlich zu den Touch Assists, die ich schon aus der Tagesstätte kannte, gab es auch das Nerve Assist , das aus einer leichten Massage bestand. Es gab viele ähnliche Assists, die den Menschen bei allen möglichen Krankheiten helfen sollten: von Erkältung und Fieber über Zahnschmerzen bis hin zu psychisch bedingten Störungen wie Albträumen. Auf meinem Posten als Medical Liaison setzte ich so viele wie möglich ein.
Die Assists gründeten auf dem scientologischen Prinzip, dass der Thetan Körper und Verstand kontrollierte. Es gab verschiedene Vorgehensweisen, zum Beispiel die, ein Kind immer wieder von seinem Albtraum erzählen zu lassen, bis es sich davon gelöst hatte. Es herrschte auch die Überzeugung, dass man Erkältungen bekam, wenn man einen Verlust erlitten hatte, daher fragte ich: »Erzähl mir, was du in letzter Zeit nicht verloren hast.« Das gehörte zum Erkältungs-Assist, damit sollte man denjenigen an das erinnern, was er noch hatte. Es gab ein riesiges Handbuch über Assists, die von Zahnschmerzen bis hin zu erhöhter Temperatur alles behandeln sollten.
Wenn ich aber den Eindruck hatte, dass jemand ernsthaft krank war, sagte ich einem Erwachsenen Bescheid, und der besuchte den Kranken dann in der Quarantäne, um zu sehen, was los war. In meiner ganzen Zeit auf der Ranch musste ich niemals zum Arzt. Nur einmal begleitete ich eine Freundin, deren Wunde genäht werden musste und die beim Anblick von Blut ohnmächtig wurde. Und mindestens einmal bestellte man eine Krankenschwester auf die Ranch, die uns alle gegen Masern, Mumps und Röteln impfte.
Eine goldene Regel gab es, und die besagte, dass man niemals Tabletten gegen Schmerzen oder Fieber nahm. Solche Arzneimittel waren verpönt, es gab sie einfach nicht. Antibiotika hingegen waren in Ordnung, aber dazu musste man zu einem echten Arzt gehen, was ziemlich selten vorkam. Es gab Zeiten, da hatte ich so hohes Fieber, dass ich fast ohnmächtig wurde und mich sogar übergab, aber mir wurde einfach befohlen, viel zu trinken und mich auszuruhen. Doch als Kind war ich nicht verantwortungsvoll genug, um dieser Aufforderung zu folgen. Einmal versuchte ich es sogar mit Sport, weil mein Bruder meinte, das wäre das Beste gegen Krankheiten. Ich habe keine
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