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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Hey
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eingezogen war. Als ich es das erste Mal bemerkte, hatte ich mich instinktiv nach einem leisen Rascheln umgedreht. Was ich zu Gesicht bekam, blieb nur den Bruchteil einer Sekunde am Fensterrahmen erkennbar. Dann war es weg. Hinter den kaputten Kühlschrank gefallen. Hatte sich fallen lassen.
    Mein Gehirn versuchte blitzschnell zu rekonstruieren, was es gerade gespeichert hatte. Einen Reptilienkopf, mit hellen sichelförmigen Streifen an der Seite. Eine Schlange! Ich spürte mein Herz pochen. Bis mir wieder einfiel, dass es hier nur Ringelnattern gibt. Unangenehm genug!
    Später zeigte sich mir die kleine Eidechse, die ich da gesehen hatte, häufiger, und solange ich mich dann nicht rührte, konnte ich ihre schöne grünlich graue Gestalt bewundern. Oft lag sie träge und unbeweglich in der Sonne. Nur ihr Herzschlag unter der Echsenhaut verriet, dass sie lebt. Ihre Augen hellwach, war sie jederzeit fluchtbereit.
    Der Wagen stand an einem kleinen Teich, und oft hörte ich die Frösche nur, besonders am Abend, wenn ihr Konzert immer lauter wurde. Doch manchmal morgens hatte ich Glück, dann sah ich sie auf Seerosenblätter krabbeln und dabei ihre Schallblasen am Kopf wie zwei kleine Kaugummis aufblähen, um unermüdlich ihren Paarungswillen herauszuschreien.
    Ihr Quaken trug mich fort in meine allererste Wohnung, ich war Studentin in Göttingen. Die Wohnung teilte ich mit Ben. Er war mir aus den USA in die deutsche Provinz gefolgt. Den Holzrahmen für unser kalifornisches Wasserbett hatte er selbst gebaut, und als er damit fertig war, sägte er die restlichen Holzleisten als Bilderrahmen auf Gehrung. Dann nagelte er mit Stahlstiften ein deckenhohes Gemälde seiner Schwester Janie an die Wand.
    Kein Besucher konnte sich der verstörenden Wirkung dieses Bildes entziehen, auch wenn sie die Geschichte des Motivs nicht kannten. Janie hatte es ihren Eltern zur Silberhochzeit geschenkt, und die hatten es entsetzt auf dem Dachboden ihres Hauses deponiert.
    Eine Nacht lang hatte Janie daran gearbeitet, es war unvollkommen und brutal. Den Rahmen bildete etwas Dunkelgrünes, das auf der linken Bildseite an das Maul eines Krokodils erinnerte. Rechts korrespondierte ein riesiger Froschschenkel, der am unteren Bildrand mit gespreizten Zehen aufsetzte. Im Zentrum wölbte sich ein Glasballon über einem roten Sockel. Ein alter amerikanischer Kaugummiautomat, der normalerweise Bubblegum freigibt, wenn man einen Metallhebel dreht. Aus dem verchromten Schacht fiel anstelle der süßen Kugel eine Kaulquappe.
    Nur schemenhaft war zu erkennen, dass der Glaskörper gleichzeitig der gerundete Leib einer Frau war, der perspektivisch im Bildhintergrund verschwand, mit dem Kopf als fernem Fluchtpunkt. Janie hatte abgetrieben.
    Ich lebte als Studentin mit diesem Bild an der Wand bis zu meinem Examen. Es war die Zeit der Mein-Bauch-gehört-mir-Kampagnen. Darüber, was eine Frau empfindet, die ihr Kind abgetrieben hat, machte ich mir damals wenig Gedanken.
    Inzwischen waren viele Jahre seit meinem eigenen Schwangerschaftsabbruch vergangen. Und ich hatte mehrfach erlebt, dass Frauen, die von meinem Schreibprojekt erfuhren, mir von ihrer eigenen Abtreibung erzählten, auch wenn diese schon viele Jahre zurücklag. Manchmal sprachen sie im Flüsterton, besonders dann, wenn der Ehemann in der Nähe war: » Ich wollte kein Kind mehr!« Und wie man auch in anderer Form Mutter sein kann, ohne eigene Kinder.
    Andere Frauen reagierten auf das Thema Abtreibung mit einem einzigen Satz. Jeder erlebt das anders, sagte eine nur.
    Was mir auffiel, war die Heftigkeit der Reaktionen, die auf schmerzvolle Entscheidungsprozesse schließen ließ. Aber auch ein gewisser Rechtfertigungsdruck, als stelle mein Projekt ihre Entscheidung infrage.
    Vielleicht darf man wirklich nicht unterschätzen, wie sehr der jahrzehntelange Kampf um das Recht auf Abtreibung manchmal den Blick auf die besondere Problematik der pränatalen Diagnostik verstellt. Die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch gilt als wichtiges Zeichen von weiblicher Autonomie und Selbstbestimmung. Und doch scheint mir, mit der Pränataldiagnostik steht dem früheren Zwang, ein ungewolltes Kind auszutragen, heute ein System gegenüber, das Frauen in eine neue Zwangslage bringt.
    »Aber ist das Selbstbestimmung«, fragt auch die Gynäkologin und Psychotherapeutin Claudia Schumann, »wenn Pränataldiagnostik die Regel und nicht die Ausnahme ist? Ist es Selbstbestimmung, bei Trisomie 21 einen Abbruch zu wünschen

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