Mein glaeserner Bauch
2010 sicher nicht mehr ausreichen.
Darüber hinaus war klar, dass für die vom Gesetz geforderte Beratung erheblicher Qualifizierungsbedarf bei Ärzten bestand. Auch wenn sie bisher schon Pränataldiagnostik als Regelangebot durchgeführt hatten, so meistens ohne oder nur mit mangelhafter Aufklärung über mögliche konfliktträchtige Folgen der Untersuchung oder alternative Angebote. Die bestehende Praxis war weit entfernt von der wichtigsten inhaltlichen Vorgabe für die Beratung, wie sie im Gendiagnostikgesetz festgelegt wurde: Ergebnisoffenheit und Orientierung am Recht auf Nichtwissen der Patientin.
Inzwischen ist für alle Gynäkologen, die selbst nicht auch Facharzt für Humangenetik sind, der Stichtag des Qualifikationsvorbehalts längst erreicht. Seit dem 1. Februar 2012 darf eine vorgeburtliche Risikoabklärung nur noch von solchen Gynäkologen und Gynäkologinnen durchgeführt werden, die eine fachgebundene Eignung zur genetischen Beratung nachweisen können.
Man könnte meinen, der lange Weg habe sich gelohnt – vom Rechtsanspruch auf Beratung, wie er 1995 in Paragraph 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes festgelegt wurde, bis hin zur qualifizierten Beratung durch Gynäkologen seit Februar 2012.
Doch die Praxis ist ernüchternd. Zwar steht fest, dass die erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen sowohl theoretische als auch praktisch-kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln sollen. Auch die Inhalte sind von der Gendiagnostikkommission definiert. Aber da bisher noch kein flächendeckendes Kursangebot entwickelt wurde, regeln die Ärztekammern der Bundesländer, wie die Zusatzqualifikation erworben werden kann. Und wie sie es regeln, ist hochinteressant. Für den theoretischen Teil gibt es einen Multiple-Choice-Test, bei dem es reicht, wenn von zehn Fragen sechs richtig beantwortet werden. Das hat die Bundesärztekammer empfohlen. Und so wird es gemacht. Falls jemand den Test nicht besteht, kann er ihn noch zwei Mal wiederholen, vielleicht auch unterstützt durch einen kleinen Auffrischungskurs. Von den meisten betroffenen Kollegen sei der Test aber aus dem Stand zu bewältigen, heißt es dazu bei der Landesärztekammer Brandenburg.
Auch die Ärztekammer Nordrhein bietet ihren Mitgliedern an, die geforderte Qualifikation ohne großen Aufwand nachzuweisen. Ganz bequem über das Onlineportal der Ärztekammer. Unkompliziert in maximal zwanzig Minuten vom eigenen PC -Arbeitsplatz aus zu absolvieren. Und was den praktisch-kommunikativen Teil angeht – die Gesprächsführung –, da unterstellt die Ärztekammer Nordrhein einfach, dass dies schon im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt vermittelt wurde. Und damit ein weiterer Qualifizierungsnachweis überflüssig.
So einfach kann es also sein. Dabei hatte das Gendiagnostikgesetz zahlreiche Mitarbeiter der Landesbehörden und Landesärztekammern in ganz Deutschland einige Wochen lang mit seinen Qualifikationsanforderungen in Atem gehalten, wie Carsten Leffmann von der Ärztekammer Schleswig-Holstein zwei Tage vor Inkrafttreten der Qualifizierungsbestimmung schreibt. Dass die Ärzte erst so spät informiert werden, erklärt er damit, dass bis zuletzt um diese Lösung gerungen wurde. 125 Eine vermeintlich gesetzeskonforme Lösung, die schlicht die bisherige Praxis in die neue Rechtslage überführt. Alles bleibt, wie es war.
Am 11. Juli 2016 – also fünf Jahre nach Bekanntgabe der Beratungsrichtlinie der Gendiagnostikkommission – soll es dann aber wirklich so weit sein. Dann soll ein dem Bedarf entsprechendes Angebot an Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Alle Qualifizierungsmaßnahmen sollen entwickelt und zertifiziert sein, real flächendeckend und bedarfsgerecht verfügbar, so dass eine ausreichende Versorgung mit Ärzten gesichert ist, die entsprechend den Anforderungen des Gendiagnostikgesetzes beratungsbefugt sind. 126
Nach Ende des Übergangszeitraums von fünf Jahren müssen Gynäkologen für die fachgebundene genetische Beratung dann tatsächlich eine Fortbildung absolvieren. Es sei denn, sie haben schon mindestens fünf Jahre Berufspraxis als Facharzt – das nächste Schlupfloch. Diese Fortbildung umfasst dann acht Unterrichtseinheiten von je fünfundvierzig Minuten, also insgesamt sechs Zeitstunden.
Es darf bezweifelt werden, ob eine eintägige Fortbildung ausreicht für eine angemessene Befähigung nach dem Gendiagnostikgesetz. Die in der Richtlinie der Gendiagnostikkommission ausgeführten Fortbildungsinhalte
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