Mein Glueck
Museumsbauten, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eröffnet wurden. In meinen Augen war der Bau eine Art Selbstporträt von Max Ernst. Messerscharf, klar, kompromisslos dringt der gläserne Vorbau in den Körper ein, in das Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die Karambolage von alt und neu hebt die klassizistische Ruhe des alten Bauwerks hervor. Ja, das neue Haus erscheint als symbolische Architektur, es illustriert die Prozedur, die hinter dem Werk steht. Die zwei Schenkel des Altbaus wirken wie eine offene Schere. Es ist die Schere, die der Künstler ansetzte, um die einschneidende Entdeckung des Jahrhunderts, die Collage, zu verwirklichen. Doch fehlten für das geräumige Haus, abgesehen von den Skulpturen, Bilder. Es ging darum, diesen Mangel zu kaschieren.
Ohne die kapitalen Leihgaben, die mir von befreundeten Sammlern und von Museen zum Teil für eine längere Periode zugesagt wurden, wären die Räume der Schausammlung ziemlich leer und spannungslos geblieben. Die Akquise machte Arbeit, brachte aber die Genugtuung, ein perfektes Potemkin’sches Museum vorzeigen zu können. Ich ging natürlich davon aus, dass im Laufe der Jahre Ankäufe das Museum bereichern und das ständige Bemühen um Leihgaben verringern würden. Denn ob Leihgaben auf Dauer die Lösung für ein solches Haus sein können, ist mehr als zweifelhaft. Und von nennenswerten oder gar bedeutenden Ankäufen ist seit der Eröffnung überhaupt nichts zu sehen gewesen, und Geschenke blieben weitgehend aus. Ein monographisches Museum eines der größten Künstler seines Jahrhunderts ist auf Meisterwerke angewiesen. Mein jüngster Vorschlag, ein historisch bedeutendes Bild für das Haus zu sichern, das großformatige »Surrealism«, das 1942 die berühmte Ausstellung der Emigranten, »First Papers of Surrealism«, in New York ankündigte, scheiterte am mangelnden Verständnis der Gutachter, die um ihre Stellungnahme gebeten worden waren. Der Eigentümer, ein Freund Max Ernsts, war bereit, auf die Hälfte des ursprünglichen Verkaufspreises zu verzichten. Neben »Europa nach dem Regen«, das sich vor kurzem die Kunsthalle Karlsruhe sichern konnte, wäre dieses Bild ein weiteres erschütterndes Beispiel für die Ausblutung durch Exil und Vertreibung gewesen. Wie »Der verwirrte Planet« im Museum Tel Aviv gehört es zu den Historienbildern des Jahrhunderts. Der entzündeten, eitrigen Bildseite antwortet links das abgrundtiefe Blau von Novalis, der Blick auf den grenzenlosen Himmel. Unnötig zu erwähnen, dass dieses Programmbild, in dem Max Ernst erstmals auf monumentale Weise das Drippingverfahren vorstellt, auf das Pollock zurückgreifen sollte, nach der Ablehnung aus Brühl rasch einen Besitzer gefunden hat. Dem Staat und dem Land ist es offensichtlich entgangen, dass es sich in Brühl um etwas anderes als um ein Heimatmuseum handelt. Zum Glück fand ich in Jürgen Wilhelm einen intellektuellen, begeisterten Partner, der auch in seinen Schriften beweist, wie stark er mit Heinrich Heine, Max Ernst und der Geistesgeschichte verbunden ist. Man kann nur hoffen, dass das Museum nicht der Lethargie verfällt, die so viele Institutionen bedroht, die von den Bürgermeistern und Notabeln eingeweiht und dann vergessen werden. Die Ausstellungen, die ich regelmäßig vermitteln konnte, haben dafür gesorgt, dass der Besucherstrom für eine Institution dieser Größe bisher durchaus beachtlich ist. Die Zusammenarbeit führte auch dazu, dass Jürgen Pech, den ich seit langen Jahren kenne und schätze, zu einem der wichtigsten Mitarbeiter am Œuvre-Katalog Max Ernst wurde. Von Anfang an suchten wir Themen für Ausstellungen aus, die in einem Bezug zum Werk Max Ernsts und zum Surrealismus stehen. Dazu gehörten Paul Klee, George Grosz, Kurt Schwitters, aber auch Tomi Ungerer, Sam Szafran, Jean Tinguely, Neo Rauch, Christo und Jeanne-Claude, Niki de Saint Phalle, William Copley und nicht zuletzt David Lynch, der mit einem wahren Enthusiasmus die Einladung annahm und sich seitdem bei jedem Zusammensein begeistert zu Max Ernst bekennt, dem Schöpfer eines der ungeheuerlichsten Szenarien des zwanzigsten Jahrhunderts, des Bildromans Une semaine de bonté . Ich fand es fabelhaft und ermutigend, dass Künstler wie Neo Rauch oder David Lynch mit ihrer Hommage an Max Ernst unterstreichen, wie aktuell, zeitgenössisch dessen Œuvre ist. Für den Geist des Widerspruchs, mit dem Max Ernst von Anfang an seine Umgebung, nicht zuletzt seine Heimatstadt
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