Mein Glueck
verunsicherte, sollte ein Ort gefunden werden, an dem die Ideologie seines Vorgehens, die Collage und das Recycling in einer Welt, die nur nachlässig ihre Ressourcen kontrolliert, lebendig bleibt. Doch meine Begeisterung für das Museum hat sich abgekühlt. Kleinlichkeiten, Provinzialismen, üble Nachrede passen nicht zur Generosität Max Ernsts. Deshalb habe ich 2012 alle meine Ämter niedergelegt. Direktor Sommer bedankte sich dafür in der Presse erleichtert: »Werner Spies hat viele Anregungen und Ideen gegeben. Sein Rückzug bietet auch neue Chancen.« Und diese Chancen gönne ich ihm von Herzen. Ich denke belustigt an den Tag, an dem eine Delegation der Stadtväter in Seillans anreiste, um Max Ernst mit der Bitte um Versöhnung eine fast mannsgroße Kristallvase mit dem Stadtwappen zu überreichen. Max bekam im nachhinein einen Lachanfall, und zufällig fiel dabei die groteske Vase auf den Boden und zerbrach.
»Fremd zieh’ ich wieder aus« – Epilog
Was war mit meinem Leben in Paris? Dieses Leben war selbstverständlich und unumkehrbar geworden. Das spürte ich auch während der Zeit, da ich in Düsseldorf unterrichtete. Schuberts »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus«, der Beginn der »Winterreise«, stand über meinem Hin und Her. Für viele galt ich als eine Art Botschafter Deutschlands in Frankreich, ein Vermittler. Ich war skeptisch geworden. Irgendwie konnte ich mich mit dieser Festlegung meines Daseins nicht mehr abfinden. Das Deutsch-Französische konnte nicht mein ganzes Leben charakterisieren. Sicher, ich tat weiterhin alles, um Menschen und Institutionen zusammenzuführen. Und ich finde es irgendwie komisch und jämmerlich, dass man trotz aller offiziellen Umarmungen auf keiner Pariser Speisekarte einen deutschen Weißwein finden kann. Auch ist es unerklärlich, dass die Sprache des Nachbarn in beiden Ländern eher eine Geheimsprache geblieben ist. Dass die Politiker und Verantwortlichen dieser Freundschaft auf Englisch miteinander verkehren, ist ein Zeichen einer intellektuellen und emotionalen Schwäche. Ich rege mich nicht mehr darüber auf. Denn ich weiß, dass die Erkenntnis und Verteidigung der eigenen Fremdheit das Wichtigste ist. Dies war die Lehre, die mir im Umgang mit so vielen Künstlern und Intellektuellen zuteil wurde. Es gibt keine Konvergenz der Sprachen, der Kulturen, der Lebensweisen, der Gastronomie. Über allem herrscht, und ich sage, zum Glück, eine Distanz, die das Heimelige und Anbiedernde zerstört.
In die Zeit um die Jahrtausendwende fiel die schrittweise, beachtliche Vergrößerung unserer Familie, die Monique und mich glücklich macht. Patrick mit Christine Fourniols und Alexandra mit Raphaël Turcat hatten Familien gegründet. Und die fünf Enkel, Karl, Heidi, Ludivine, Victoire und Anton, haben unser Leben und Fühlen auf wunderbare Weise erweitert. Die Sätze, die aus dem Munde der Kinder kommen, sind außerordentlich, tief. Sie vermögen die Melancholie, die immer wieder den Blick verstellt, zu begründen oder zu beschwichtigen. Sie relativieren die Angst und lehren Leichtigkeit. Die fünfjährige Heidi kam begeistert aus der Schule mit der Nachricht zurück: »Le bon Dieu avait du pot. Il n’était mort que trois jours.« – »Der liebe Gott hat Schwein gehabt. Er war nur drei Tage tot.«
Bei Adalbert Stifter stieß ich auf eine Stelle, die sich mir tief eingeprägt hat. Sie zerbricht eine sanfte stille Welt wie ein Entsetzen: »Diese fürchterliche Wendung der Dinge«. Die Klage passt zum letzten Kapitel meines Buches, in dem von meinem Unglück die Rede ist. Denn alles, was ich mit dem Namen des Fälschers Beltracchi verbinde, ist ein Unglück. Mein einziger Besuch im Hause des Fälschers in Südfrankreich ist nun fast zehn Jahre her. Und doch wird mich die Geschichte auch weiterhin verfolgen. Ich werde damit leben müssen, in der Hoffnung, dass die Damnatio memoriae, die mir manche verordnet haben, einmal endet. Wie kam es dazu, dass ich in diese Affäre verwickelt wurde? Es war im Jahr 1999 , als ich einen Brief eines mir bis dahin unbekannten Otto Schulte-Kellinghaus erhielt mit der Nachricht, seine Familie besitze Arbeiten von Max Ernst, und er fragte, ob ich bereit wäre, diese anzuschauen. Der Gedanke, dem Catalogue Raisonné meines »Lebenskünstlers« Max Ernst bis dahin unbekannte Werke hinzufügen zu können, war für mich verlockend, und ich habe selbstverständlich sofort zugesagt. Dem Brief war ein Foto beigelegt, das mich
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