Mein Glueck
mit einem nicht weniger schlagfertigen »Bonjour Nathalie«. Ionesco ließ nicht viel neben sich gelten. Beckett, mit dem er sich gerne verglich, ist die Ausnahme. Ja, nur habe er nicht seine Nacktheit. Er sei weniger düster. Die Askese Becketts gehe ihm völlig ab, und er setzte hinzu: »Ich bin ein sinnlicher Mensch.« Er sei zwar überzeugt, dass in der heutigen Zeit keine Ideologie mehr gültig sei – es gebe aber ein Problem, das wichtigste von allen, das des Todes. Der Hinweis vermittelt zumindest eine Ahnung von der Gewalt, mit der Ionesco in der Nachfolge der Surrealisten das logische Gefüge und eine Gesellschaft aufzubrechen versuchte.
Die Gewalt des Surrealismus habe ich erst später entdeckt, weil er in den sechziger Jahren in Paris überhaupt kein Gesprächsthema mehr war. Nur einer der gebildetsten Künstler, Pierre Alechinsky, sorgte für ein Nachbeben der wohl folgenreichsten Revolution in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, der Entdeckung der Collage, so wie sie von Max Ernst definiert worden war. Alechinsky griff zu Fundstücken, Schreibblättern aus Archiven, und zog sie als Prothesen zu seiner eigenen Graphomanie heran. Der Umgang mit dem Veralteten und Übersehenen, auf den die Surrealisten immer erpicht waren, war zu spüren. Rimbauds »Alchimie du verbe«, das, was der Dichter den »poetischen Plunder« nennt, der zur »einfachen Halluzination« führe, wird in diesen anspielungsreichen und mokanten Palimpsesten weiterverfolgt.
Jean Tardieu, Monique und Werner Spies
Sonst war vom Surrealismus im Nachkriegsparis so gut wie nichts mehr zu spüren. Alles, was den Kreis um Breton charakterisierte, eine scharfe Mischung aus materiellen und psychischen Fakten, war in den fünfziger und sechziger Jahren vom Furor des informellen Ausdrucks erstickt worden. In dieser ungegenständlichen Malerei gab es nichts Getrenntes mehr. Überall traf ich auf die Miasmen des Ungefähren, das der Interpretation und der Subjektivität mehr Platz schaffte als jede Kunst zuvor. Dies gehörte sicherlich zu der panischen Angst vor allem Kollektiven, gegen das sich im Westen die Kunst der Nachkriegszeit zu wehren suchte. Mich störte es überaus, dass in Deutschland mit einer wahren Lust das Heil im Abstrakten gesucht wurde. Ich nannte den Verzicht auf Inhalte und damit auf Verantwortung für die jüngste Geschichte »Bußästhetik« oder auch eine milde Kondolenzkunst, die sich überaus bequem dem internationalen Idiom angeschlossen hatte. Welch ein Unterschied zu der Reaktion der Dadaisten während und nach dem Ersten Weltkrieg, für die Kunst als bourgeoises Genre keine Gültigkeit mehr haben konnte. Erst heute beginne ich zu ahnen, dass Beuys diese Funktion zu übernehmen versucht hat. Er spielte mit den Attributen des Horrors und der Unbegreiflichkeit. Für mich wurde diese Frage im Laufe der Jahre immer wichtiger. Und ich entdeckte, dass selbst auf Terrains, auf denen beim ersten Blick keine politische oder engagierte Kunst wuchs, letztlich doch auf klare Weise Position bezogen wurde. Dies galt ebenso für Picasso wie für Max Ernst, der in »Europa nach dem Regen« am nachhaltigsten das Verschwinden eines Kontinents vorausgesehen hatte. Und die Rückkehr einer Ikonographie in Deutschland ist nicht zuletzt mit dem Werk von Künstlern wie Kiefer, Baselitz, Immendorff und Richter verknüpft. Sie tauchten wie ein Rudel von Jagdhunden auf, das die Gegenständlichkeit apportiert, die die Kritik abgeschossen hatte. Sie wandten sich gegen die Position, mit der ein Wortführer der subjektiven Kunst, Barnett Newman, die autonome Malerei begründet: »Alles, was wir schaffen, geschieht aus uns selbst.«
In Ionescos ungläubigem Umgang mit den Dingen erlebte ich eine Art Kontinuität der Meuterei gegen die Geringfügigkeit des Realen, gegen die sich Breton und sein Kreis zur Wehr gesetzt hatten. Das heißt, es gab hier eine skeptische Antwort auf Realien und Zustände. Im Umkreis von Ionesco, Audiberti, Jean Tardieu oder René de Obaldia, die ich in den sechziger Jahren ständig sah, setzte sich nicht zuletzt der Aufstand gegen den Positivismus fort, der sich mit Erklärungen zufriedengibt. Der surrealistische Geist lebte in diesen Dichtern stärker als in dem, was die eilfertigen Statisten im ausgeleierten Kreis um André Breton in den fünfziger und sechziger Jahren nachzumachen und wiederzubeleben suchten. Die Heiterkeit, die Tiefe im Witz, die Tardieu und de Obaldia ausströmten, zeigten, dass es weniger aufs
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