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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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verfrachtet, mußten eine Ewigkeit warten, und dann hatte der Zug auch noch Verspätung.“
    „Ich hörte von dem Bruch auf der Linie, deshalb dachte ich, du würdest morgen mit dem Tageszug kommen.“
    „Ich verstehe, daß du mich heute nicht erwartet hast. Nun, gute Nacht, Vivi, ich möchte jetzt schlafen.“
    „Gute Nacht, Johannes.“
    Ich fühlte mich klein und häßlich und unglücklich, als ich aus Johannes’ Zimmer schlich. Im Vorzimmer stand Torsten.
    „Vivi, Mädchen“, er nahm mich in seine Arme. „Nimm’s nicht so schwer. Wir werden jetzt so rasch wie möglich aufbrechen. Mach gute Miene zum bösen Spiel, die Party ist bisher so wohlgelungen, daß dein betrübtes Gesichtchen die letzte halbe Stunde nicht verderben darf. Nicht wahr, Kleines?“
    „Ach, Torsten!“
    Ich vergrub meinen Kopf an seiner Brust, und er küßte mich ebenso zart und innig wie vorgestern.
    Torsten gab mir die Kraft, mein Gesicht in die verlangten munteren Falten zu legen und zu lächeln, als ich wieder zu meinen Gästen ging. Die Kaffeepartie war bereits im vollen Gange, und wenn auch die Stimmung etwas gedämpfter war, verdorben war sie keineswegs.
    „War dein Bruder böse?“ fragte Nini aus Birgers Armbeuge heraus.
    „Ach nein, bloß müde. Er ist schlafen gegangen, wollte nicht stören.“
    „Da du vom Schlafengehen redest“, sagte Elsa, „fühle ich mich auf einmal hundemüde. Wollen wir Taxis bestellen?“ Die anderen waren einverstanden.
    „Soll ich bleiben und dir beim Aufwaschen helfen?“ flüsterte Torsten.
    Ich drückte seine Hand und schüttelte den Kopf. Torsten verstand und ging zusammen mit den anderen. Es war viel besser, diesen Riesenaufwasch allein zu bewältigen als zu riskieren, daß Johannes wach wurde und mich womöglich mit einem wildfremden Mann in der Küche fand.
    Bis halb sechs morgens ging ich lautlos auf Filzpantoffeln, räumte auf und wusch ab. Ich öffnete die Fenster und machte Gegenzug, ich überwand meine Müdigkeit und brachte die Wohnung in Ordnung.
    Zwei Stunden schlief ich, dann riß mich der unbarmherzige Wecker aus dem Schlaf. Ich war schrecklich in Versuchung, mir rasch den Morgenrock umzuhängen und einen Schluck Kaffeee für Johannes zu machen, aber die Vernunft siegte. Ich nahm eine kalte Dusche und wärmte schnell eine Tasse starken Pulver-Kaffees von heute nacht auf, und damit war ich soweit in Form, daß ich mich anziehen und den Frühstückstisch decken konnte, wie Johannes es gewohnt war.
    Ich sah die Verwunderung in Johannes’ Gesicht, als er eine saubere Küche und einen gedeckten Frühstückstisch vorfand. Das jedenfalls hatte Mamilein nach ihren Gesellschaften nie fertiggebracht.
    Besser den Stier bei den Hörnern packen, dachte ich.
    „Na – bist du böse?“
    „Nein, nicht böse, nur enttäuscht.“
    „Enttäuscht? Von mir?“
    „Ja, Vivi. Du sagtest, ich könnte ruhig verreisen, du würdest keine Dummheiten machen. Und dann komme ich heim, früher, als du mich erwartest, und…“
    „… und da hatte ich einige Kollegen und Freunde eingeladen, ja. Und wir hatten es riesig nett, was weiter?“
    „Vivi, ich verabscheue dieses Theatermilieu“, stieß Johannes heraus.
    „Wie kannst du etwas verabscheuen, was du nicht kennst? Wenn du wüßtest, was dieses Theatermilieu mich gelehrt hat, Johannes! Da habe ich die intensivste Arbeitsfreude getroffen, da habe ich gesehen, wie man Enttäuschungen ertragen lernt, und da habe ich vor allen Dingen Kameradschaft gefunden. Aber tröste dich, ich habe nicht vor, zum Theater zu gehen. Wenn dieses Stück abgesetzt wird, werde ich zunächst einmal Stenografie und Maschinenschreiben lernen.“ Da hellte Johannes’ Gesicht sich auf.
    „So, daran hältst du also fest, Vivi?“
    „Das ist doch klar. Also, um Himmels willen, Johannes, spiele nun nicht den strengen Papa, sondern sei der nette Bruder und erzähle mir, wie es dir in Oslo ergangen ist.“
    Johannes erzählte von dem Philatelistenfest. Er hatte das Album mit seiner Porträtsammlung mitgehabt und viel Lob dafür geerntet.
    Einige Briefmarken, die er sich seit langem gewünscht hatte, bekam er im Tausch.
    Er hatte versprechen müssen, daß er zu der nächsten Tagung in einem Monat seine anderen Briefmarkensammlungen mitbrächte. Und Direktor Bentsen schickte viele Grüße für mich. Er würde bald wieder zu uns kommen.
    Als Johannes gegangen war, erledigte ich geschwind die eiligste Hausarbeit, zog mein Kleid aus und ging ins Bett. Ich war so müde, daß mich

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