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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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uns allein. Torsten legte den Arm um mich, und ich lehnte mich an seine Schulter.
    „Siehst du, Vivi“, sagte er, „das Theaterleben ist nichts für uns beide. Wir wollen uns lieber an Jus und Stenografie halten.“
    Ich hatte einen Stapel Platten auf den Plattenspieler gelegt, und der spielte drauflos. Eben wechselte er die Platte, und jetzt kam ein Kosakentanz.
    „Nein, hört doch damit auf“, riefen die tanzenden Paare aus dem Eßzimmer, aber Ida überschrie sie.
    „Nein, wartet einen Augenblick!“ Wie der Wind war sie im Vorzimmer und kam wieder herein, mit Johannes’ Pelzmütze auf dem Kopf. Sie schnappte ein Papiermesser vom Schreibtisch, und im nächsten Augenblick ging sie auf dem Fußboden in die Hocke, mit gekreuzten Armen. Ihre trainierten Beine sprangen vor und zurück, im richtigen Kosakentanzrhythmus. Sie sah urkomisch aus mit dem Papiermesser und der hohen Pelzmütze.
    Wir lachten und klatschten Beifall, und in der Küche sprudelte der überkochende Kaffee, und dann…
    „Was in aller Welt…“, sagte eine Stimme von der Tür her. Keiner von uns hatte jemanden kommen gehört.
    Ich wandte mich erschrocken um.
    Da stand Johannes.
    Torsten sprang auf und schaltete den Plattenspieler aus. Ich fühlte, daß ich ganz bleich wurde. Der Respekt der kleinen Schwester vor Johannes stieg in mir hoch. Meine Gäste sahen fragend von Johannes zu mir.
    Da erschien Elsa.
    „Nein – aber, bist du es, Johannes? Ist es der große böse Kater, der die Mäuse fressen will, weil sie auf dem Tisch getanzt haben, während er weg war? Fauche nicht, Pussy, komm, du sollst eine Schale mit Sahne bekommen, miau, miau!“ Elsa gelang es, die anderen zum Lachen zu bringen, dann packte sie Johannes am Arm und zog ihn mit sich aus dem Wohnzimmer hinaus.
    Ein Gedanke fuhr durch meinen Kopf; Johannes’ Zimmer? Es war halbvoll von Eßzimmerstühlen, und der Himmel mochte wissen, was sonst noch für Kram.
    Ich schlich mich hinaus. Im Vorzimmer stand Elsa und hielt Johannes an beiden Rockaufschlägen fest.
    „Du sollst Vivi den Abend nicht verderben, Johannes“, sagte sie, und ihre Stimme war leise und eindringlich. „Es sieht natürlich für deine Augen wild hier aus, weil du müde von der Reise kommst. Du platzt in eine Party hinein, die den Höhepunkt erreicht hat. Aber es ist nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussieht. Wir haben es riesig lustig und fidel.“
    „Ja, das sehe ich deutlich“, sagte Johannes leise und verbissen. „Entschuldige, Elsa, daß ich so unangenehm bin, aber diese Sache geht dich – strenggenommen – nichts an.“
    „Doch, Johannes. Denn ich habe Vivi gern und spreche in ihrem Interesse. Sie selbst kann es nicht, weil sie Todesangst vor dir hat.“
    „Angst? - Vor mir?“
    „Genau das. Hast du ihr Gesicht gesehen, als du kamst? Wenn alles so wäre, wie es sein sollte, dann würde Vivi gerufen haben: ,Oh, hallo, Bruderherz, wie reizend, komm, hier hast du auch ein Glas!’ Aber was tat sie? Sie wurde steif vor Schrecken. Der Abend ist für sie völlig verdorben, wenn du jetzt nicht ein bißchen Verständnis zeigst. Herrgott, Menschenskind, Vivi ist neunzehn Jahre! Laß sie doch ein wenig Vergnügen haben! Vivi ist ein grundanständiges Mädchen, das weißt du genauso gut wie ich, und du brauchst nicht zu glauben, daß eine etwas übermütige Party ihr gleich zum Verderben wird.“
    „Gut“, sagte Johannes, „darüber werden Vivi und ich morgen sprechen. Tut, was ihr wollt, aber ich bin müde und gehe zu Bett.“
    Ich schlich mich in sein Zimmer und räumte auf, so gut es sich machen ließ. „Bist du hungrig, Johannes?“
    „Ach ja, ich möchte gern ein paar Butterbrote haben.“ Ich wollte ihn daran hindern, in die Küche zu gehen, aber er stand schon in der Tür. Und nun sah ich die Küche mit Johannes’ Augen und wußte plötzlich, was er fühlte: Abscheu vor all dem Kram und den zwei wildfremden Menschen mittendrin, die soeben ihre Küchentätigkeit unterbrochen hatten. Wir platzten gerade in dem seligen Augenblick herein, als Nini den ersten Kuß von Birger bekam.
    Das ganze Bild war eine getreue Kopie jenes Bildes, das wir so oft gesehen hatten, wenn Mamilein in ihrer impulsiven Art das Haus mit aufgelesenen Gästen gefüllt hatte.
    Johannes machte auf der Schwelle kehrt und ging in sein Zimmer. Ich brachte ihm belegte Brote und ein Glas Milch.
    „Wieso kommst du denn um diese Zeit?“ fragte ich.
    „Bruch auf der Linie. Wir wurden mit Bussen über die Bruchstelle

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