Mein grosser Bruder
daß meine Stimme eiskalt war, und ich fühlte auch eine kühle, starke Ruhe in mir. „Du verstehst, Vivi…“
„Gewiß verstehe ich, Mami. Du verstehst sicher auch.“ Hart und zielbewußt ging ich auf die Wohnzimmertür zu, hart und unbarmherzig öffnete ich sie und trat ein. Im Sofa saß Steffen Brede.
„Na, Ulla, war es… Aber, lieber Himmel, was suchen Sie denn hier?“
„Guten Abend, Herr Brede. Was ich hier suche? Ich besuche natürlich meine Mutter. Wußten Sie nicht, daß Frau Bergum meine Mutter ist?“
Hätte ich in diesem Augenblick den geringsten Sinn für Humor gehabt, würde ich wohl laut gelacht haben über Steffen Bredes törichtes Gesicht. Aber mir war ganz und gar nicht nach Lachen zumute. Ich wandte mich zu Mamilein um.
„Also, Mutter – das war die Überraschung, die du mir versprochen hast? Sie verstehen, Herr Brede, als Mutter mich bat, heute abend heraufzukommen, versprach sie mir eine Überraschung.“ Hatte ich einmal gesagt, ich hätte kein Schauspielertalent? Etwas davon mußte ich immerhin besitzen. Ich kämpfte für Mamileins Ruf, für ihr eheliches Glück einen verzweifelten Kampf. Und dieser Kampf zwang mich zu einer Leistung, die ich nie für möglich gehalten hätte. Der Gedanke an das ungeheure Opfer, das ich brachte, machte meinen Kampf noch verbissener. Wenn ich auf den Abend verzichtete, auf den ich mich so gefreut hatte, auf die kostbaren Stunden mit meinem geliebten Torsten – dann wollte ich nicht, daß mein Opfer vergeblich sein sollte. Ich ließ mich neben Steffen Brede aufs Sofa sinken.
„Mixen Sie mir einen Cocktail, Herr Brede, ich bin müde und brauche einen.“
Endlich fand Steffen Brede seine Stimme wieder.
„Ach, ich dachte… ich glaubte, du wärest… Sie wären auf Elsas Fest?“
„Da sollte ich auch sein. Aber als Mutter anrief und mich zu sich bat, sagte ich ab. Man sagt doch nicht nein zu seiner Mutter. Ich soll übrigens von Johannes grüßen, Mutter.“
Ich hatte ein Glas in die Hand gesteckt bekommen, jetzt wandte ich mich zu Steffen Brede. „Können Sie verstehen, daß ich stolz bin auf meine junge, hübsche Mutter, Herr Brede? Ist es nicht unbegreiflich, daß sie einen Sohn von achtundzwanzig Jahren hat? Prost, Mutter, es war reizend von dir, mich herzubitten.“
Mamilein murmelte etwas von „Vielleicht ein belegtes Brot…“
„Blendende Idee“, sagte ich entzückt, und doch graute mir davor, etwas zu essen. Ob ich überhaupt einen Bissen schlucken konnte?
„Hast du eine Hausgehilfin da, oder sollen wir uns selbst bedienen?“
Es stellte sich heraus, daß die Hausgehilfin durch Abwesenheit glänzte. So zog ich Mamilein mit mir in die Küche.
„Vivi“, begann sie.
„Schweig!“ sagte ich hart. „Du machst jetzt gute Miene zum bösen Spiel, verstanden? Du hast mich angerufen und zu dir gebeten, weil du dachtest, es würde nett für mich sein, einen meiner großen Kollegen vom Theater zu treffen, sozusagen privat. Halte fest an dieser Version.“
„Laß mich erklären, Vivi.“
„Nicht jetzt. Wenn Alfred erfährt, daß Brede hier war, muß es heißen, ,Vivi und ein Freund von ihr’, verstanden?“
Ich konnte selbst hören, daß meine Stimme einen unheimlichen Klang hatte. Am liebsten hätte ich vor Verzweiflung laut geschrien. Da ich das nicht konnte, sondern dastehen und Brote streichen mußte, auf die keiner von uns Lust hatte, wurde meine Selbstbeherrschung so hart und verdichtet, daß sie wie Metall hinter meinen Worten klang.
Schließlich hatten wir eine Platte mit belegten Broten angerichtet. Ich nahm sie, um sie hineinzutragen. Vor der Tür drehte ich mich nach Mamilein um.
„Zeige jetzt, daß du etwas schauspielern kannst, setze ein lächelndes Gesicht auf und kokettiere damit, daß du eine Tochter hast, die wie deine Schwester aussieht. Necke Steffen Brede, rede vom Theater, nur mache irgend etwas. Laß mich nicht allein die ganze Bürde tragen!“
Dann ging ich hinein, und Mamilein kam hinterher mit Tellern und Gläsern. Und ihre Stimme klang beinahe natürlich, als sie Steffen Brede fragte, ob er Bier zu den Broten haben wolle. Ich lenkte das Gespräch aufs Theater, lächelte und plauderte, während meine Nerven zitterten. Heimlich blickte ich auf die Uhr. Lieber Gott, jetzt war das Fest bei Elsa in vollem Gange. Und Torsten, was dachte sich Torsten? Nein, ich durfte nicht daran denken, ich mußte mich auf das konzentrieren, was ich mir hier vorgenommen hatte. „Wann erwartest du Alfred zurück,
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