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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Mutter?“
    Mamilein befeuchtete die Lippen.
    „Morgen, oder vielleicht übermorgen, es kommt darauf an, ob er über Oslo fährt.“
    „Ach, wenn ich ihn recht kenne, kommt er direkt heim. Du wirst sehen, seine Sehnsucht ist so groß, daß er schon mit der Nachtmaschine kommt.“
    Mamilein wurde blaß, und gleich, als ich das gesagt hatte, durchfuhr es mich: das war ja gar nicht so unmöglich, daß Alfred schon auf dem Heimweg war. Aber ich hatte genug von Männern, die überraschend heimkamen. Ich hatte das einmal erlebt; sollte es noch einmal geschehen, würde ich glatt einen hysterischen Anfall bekommen…
    Es geschah. Und ich wurde nicht hysterisch.
    Wir hatten schließlich die belegten Brote doch verdrückt, und ich hatte, ohne die anderen zu fragen, das Radio angestellt. So brauchten wir uns nicht so schrecklich anzustrengen, einander zu unterhalten. Am liebsten wäre ich aufgebrochen, aber es wäre doch zu auffallend gewesen. Ich mußte diese schreckliche Komödie zu Ende spielen.
    So hörten wir also Radio.
    Auf einmal hob Mamilein den Kopf und lauschte.
    Kein Zweifel, jemand schloß die Haustür auf.
    Auf einmal wurde meine Stimme laut und hell. „Hörst du das, Mutter, was sagte ich? Ich wußte, daß er nicht länger warten konnte.“
    Mamilein erhob sich, und gleichzeitig ging die Tür auf.
    „Ullachen…“
    „Nein, aber Alfred…“
    Er breitete die Arme aus und drückte Mamilein an sich. Dann erst bemerkte er uns.
    „Nein, bist du da, Vivi? Das ist aber nett, daß du deine Mutter nicht allein sitzen läßt.“
    „Willkommen, Alfred, und das ist ein Kollege von mir vom Theater, Herr Brede.“
    „Na, ich kenne doch Herrn Brede – vom Aussehen her wenigstens! Das war eine gute Idee von dir, Vivi, daß du ihn mit heraufgebracht hast. Mir gefiel der Gedanke gar nicht, daß mein Ullamädchen allein hier oben saß. – Nein, setzt euch wieder! Ich möchte euch nicht etwa verjagen. Mach mir einen Whisky zurecht, Ullachen, und nachher wollen wir sehen, was der Weihnachtsmann mitgebracht hat.“
    Froh, glücklich und lächelnd saß Alfred da, einen Arm um Mamileins Schulter mit strahlender Besitzermiene und so überströmend in seiner Freude, daß er sie mit anderen teilen mußte. Keine Rede davon, daß wir gehen durften, er hatte doch etwas Besonderes, auch für mich, im Koffer. Er wollte nur ein paar Minuten verschnaufen und den Durst stillen, dann wollte er gleich…
    Ich saß wie auf Kohlen. Endlich, endlich stand Alfred auf. Er und Mamilein verschwanden. Wir hörten Knistern und Rascheln von Papier aus dem Rauchzimmer. Und dann erschien Mamilein in einem wundervollen Pelzcape und legte mir etwas in die Hände.
    „Hier, Vivi, dein alter Onkel darf wohl…“
    Ich sah mir seine Gabe an. Es war eine sehr geschmackvolle, elegante Handtasche.
    „Das ist lieb von dir, Alfred…“
    „Und darin liegt etwas, was du Johannes mitnehmen kannst, mit herzlichen Grüßen.“
    Eine echte Dunhillpfeife.
    Ja, Alfred war sehr nett. Ich hatte ihn gern. Und wenn ich heute das größte Opfer meines Lebens gebracht hatte – Alfred war es wert. Ich wagte einfach nicht daran zu denken, wie es gekommen wäre, wenn ich nicht diese „Eingebung“ gehabt hätte und hier heraufgestürzt wäre.
    Dann endlich, endlich konnte ich aufbrechen. Alfred hatte einige nette Worte mit Steffen Brede gewechselt. Der war nicht umsonst Schauspieler, er antwortete höflich und natürlich.
    Ich bangte vor der Fahrt in die Stadt, allein mit Steffen Brede. Hart und sachlich konnte man meine Furcht so formulieren: Die Mutter ist ihm entgangen, vielleicht versucht er es jetzt bei der Tochter.
    Aber ich glaube, auch für Steffen Brede war der Abend zu aufreibend gewesen. Jedenfalls bewahrte er eisiges Schweigen während der Fahrt. Als er vor meiner Tür hielt, stieg er aus und wartete, bis ich aufgeschlossen hatte. Ein einigermaßen höfliches „Gute Nacht“, und dann war ich innerhalb meiner vier Wände und schloß die Tür hinter mir mit bebenden Händen.
    Es war schon zwölf Uhr, und ich ging ans Telefon.
    Elsa antwortete, und ich hörte Lachen und Lärm um sie herum.
    „Ihr seid noch fest dabei, Elsa?“
    „Was? Nein, seid doch still, ihr da! Wer? Ach du bist es, Vivi? Wo bist du denn geblieben? Komm nur her, wir bleiben noch lange beisammen. Torsten war wütend; er hat den ganzen Abend dagesessen wie ein versteinertes Gewitter, und jetzt ist er gegangen. Aber du mußt noch kommen. Unsinn, so müde bist du ja gar nicht! – Nein, nein.

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