Mein Herz schlaegt fur uns beide
den falschen Zug erwischt, oder ihr Zug ist ausgefallen. Ich konnte sie nicht richtig hören. Ich weiß nicht, aber bei ihr gibt es immer irgendein Drama.
Dad und ich lachten. Tante Shelly verwandelte immer alles in ein riesiges Chaos. Einmal wollte sie für uns kochen, aber sie hatte vergessen, den Herd einzuschalten. Ein andermal kam sie einen ganzen Tag zu früh zum Essen, und als ich einmal mit ihr zum Supermarkt ging, hatte sie ihr Geld zu Hause vergessen und uns dann noch aus dem Auto ausgesperrt, sodass wir den ganzen Weg zurück zu Fuß gehen mussten, ohne dass wir überhaupt etwas eingekauft hatten.
Endlich kam die Pizza. Sie war köstlich! Ich aß meine, ein Stück von Rorys, und als der Nachtisch kam, bekam ich etwas von Mums Tirama-Soundso und eine riesige Schüssel After-Eight-Eis.
Laura hatte das immer die allerwiderlichste Eissorte auf der Welt gefunden. Sie sagte: »Nichts, was wie Zahnpasta schmeckt, dürfte mit Schokolade vermischt werden.«
Aber es ist mein Lieblingseis.
Als ich den letzten Klecks geschmolzenes Eis aus meiner Glasschale kratzte, hatte ich es irgendwie vergessen. Für einen winzigen Moment lächelte ich, leckte mir die Lippen und wollte nachsehen, ob Laura auch schon fertig war, aber dann merkte ich, dass Rory neben mir saß, und ich starrte ihn eine Weile nur an. Es war wirklich seltsam.
Als Mum Rory ins Bett gebracht hatte, kam sie in mein Zimmer und bat mich, nach unten zu kommen. Sie sagte, sie wollten »etwas mit mir besprechen«. Ich ging langsam die Treppe hinunter. Ich wusste nicht, was dieses »Etwas« war, aber ich hoffte, es wäre nicht so schrecklich wie das »Etwas«, das ich für die Kunstecke gemacht hatte.
Ich setzte mich ihnen gegenüber. Mum spielte an ihrer Halskette herum und Dad rieb sich immer wieder die Schläfen. Beide sahen sehr ernst aus.
Dad: Wir müssen mit dir über Laura sprechen.
Ich wartete. Ich starrte auf den Teppich und zählte die vielen verschiedenen Figuren im Muster: Karos, Dreiecke, Vierecke, Kreise. Niemand sagte etwas. Ich wartete. Ich schlug mit den Zehenspitzen die Ecke des Teppichs um. Auf der anderen Seite waren die Farben viel heller. Rot, gelb, grün. Ich wartete. Das Eis rotierte in meinem Magen.
Ich: Hab ich was angestellt?
Dad: Nein, natürlich nicht. Du hast nichts angestellt und du kriegst keinen Ärger. Hast du das gedacht?
Ich sah wieder auf. Dad runzelte die Stirn und Mum spielte an ihrer Nagelhaut herum. Es war wie damals, als sie aus dem Krankenhaus zurückgekommen waren. Es war wie damals, als sie ohne Laura zurückgekommen waren.
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Poch, poch. Poch, poch, und ich beschloss, worüber sie auch mit mir sprechen wollten, ich wollte es nicht hören. Ich wollte mir die Ohren zuhalten und den Klang ihrer Stimmen aussperren. Poch, poch, poch, poch.
Aber in diesem Moment hörte ich ein lautes Quietschgeräusch, und plötzlich fiel unser Gartentor ins Schloss, und dann ging die Türklingel. Eine Sekunde lang bewegte sich niemand, dann rannte ich zur Tür. Als ich sah, wer es war, sprang ich hoch, legte ihr die Arme um den Hals, vergrub mein Gesicht in ihren weichen Rapunzelhaaren und sog ihren wunderbaren zitronigen Duft ein.
Ich: Tante Shelly!
Tante Shelly: Überraschung.
Mum kam in die Diele, und als sie sah, wer es war, lachte und seufzte sie gleichzeitig.
Mum: Zug verpasst?
Tante Shelly: Nein. Ich bin in den falschen gestiegen. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich hab den Zug in die Gegenrichtung erwischt. Falscher Bahnsteig. Ich war so müde. Ich hab nichts mitgekriegt. Ich hab mich einfach hingesetzt, mein Buch ausgepackt und dann … dann hab ich für eine Sekunde die Augen zugemacht … ich wäre in Cornwall gelandet, wenn der Schaffner mich nicht geweckt hätte. Könnt ihr euch das vorstellen?
Ich schaute zu ihr hoch und grinste, aber dann sah Mum wieder so komisch aus, als ob sie mit einer richtig schweren Rechenaufgabe kämpfte. Sie seufzte und lehnte sich an die Tür.
Mum: Wir wollten gerade … äh … reden.
Mum und Tante Shelly tauschten einen seltsamen Blick.
Dad: Das kann warten. Ein andermal!
Mum: Dann komm rein, Schwesterherz, es ist doch eiskalt.
Tante Shelly gab mir ihre riesige Handtasche und ich rannte ins Haus.
Tante Shelly: Pyjamaparty mitten in der Woche?
Ich sprang auf und rannte zur Treppe.
Ich: Kann sie in meinem Zimmer schlafen, bitte?
An diesem Abend lag ich ewig lange wach. Ich konnte Tante Shelly, Mum und Dad unten ganz leise reden
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