Mein Herz so weiß
mir, umso mehr bedrängte sie mich, umso mehr beanspruchte sie mich (›Du entkommst mir nicht‹, dachte ich, ›oder du komm her oder du gehörst mir oder du stehst in meiner Schuld oder mit mir in die Hölle, vielleicht mit der Gebärde des Packens, Löwenkralle, eine Klaue‹). Ich war es leid, und ich war ungeduldig, ich wollte dieses Band zerreißen und nach Spanien zurückkehren, aber alleine (›Ich trau dir nicht mehr‹, dachte ich, ›oder du musst mich hier rausholen oder ich bin nicht in Spanien gewesen oder du bist ein Dreckskerl oder hab ich dich jetzt oder ich bring dich um‹). Wir stritten uns ein wenig, mehr als ein regelrechter Streit ein paar mürrische Sätze, Beleidigung und Antwort, Beleidigung und Antwort, und dann ging sie ins Schlafzimmer, legte sich auf das Bett bei gelöschtem Licht und weinte, sie schloss die Tür nicht, damit ich sie sehen und hören konnte, sie weinte, damit ich sie hörte. Ich hörte sie vom Wohnzimmer aus eine Weile schluchzen, während ich die Zeit vertrieb bis zu dem Augenblick, da ich mich wieder mit den Unternehmern treffen würde, ich hatte vereinbart, sie auf eine Kneipentour zu führen. Dann hörte sie auf, und ich vernahm, wie sie ein wenig vor sich hin sang, zerstreut (›Vorspiel des Schlafs und Ausdruck der Müdigkeit‹, dachte ich, ›der eher unregelmäßige und vereinzelte Gesang, den man abends weiter in den Schlafzimmern der glücklichen Frauen hören konnte, die noch keine Großmütter und keine Witwen und auch keine alten Jungfern waren, ruhiger und sanfter oder erschöpfter‹), dann verstummte sie, und als es Zeit war, ging ich in unser Schlafzimmer, um mich umzuziehen, und sah sie schlafen, sie war eingeschlafen nach dem Verdruss und dem Weinen, das gespielt war oder nicht, nichts erschöpft so sehr wie der Schmerz. Die Balkontür stand offen, ich hörte in der Ferne die Stimmen der Nachbarn und ihrer Kinder vor dem Abendessen, bei Einbruch der Dunkelheit. Ich öffnete den Schrank und wechselte das Hemd, ich warf das schmutzige auf einen Stuhl, und ich hatte das saubere noch nicht zugeknöpft, als ich es dachte. Ich hatte es schon mehrmals gedacht, aber in diesem Augenblick dachte ich es für diesen Augenblick, verstehst du? Für diesen Moment. Es ist merkwürdig, wie ein Gedanke bisweilen mit solcher Deutlichkeit und Macht in uns aufsteigt, dass nichts mehr zwischen ihn und seine Verwirklichung treten kann. Man denkt an eine Möglichkeit, und sogleich hört sie auf, es zu sein, man tut, was man denkt, und es verwandelt sich in etwas Ausgeführtes, ohne Übergang, ohne Vermittlung, ohne Zwischenschritt, ohne dass man länger überlegt, ohne dass man genau weiß, ob man es tun will, die Handlungen vollziehen sich dann von allein.« (›Die gleichen Handlungen, von denen nie jemand weiß, ob er sie vollzogen sehen möchte, die Handlungen, die alle unfreiwillig sind, die Handlungen, die nicht mehr von den Worten abhängen, sobald sie ausgeführt werden, sondern sie auslöschen und isoliert vom Vorher und Nachher dastehen, sie allein sind unabänderlich, während es Bestätigung und Widerruf, Wiederholung und Richtigstellung bei den Worten gibt, sie können dementiert werden, und wir nehmen sie zurück, sie können entstellt und vergessen werden.‹) Bestimmt schaute Ranz Luisa mit seinen feurigen Augen an, mit seinen flüssigen Augen, oder vielleicht hielt er den Blick gesenkt. »Da lag sie, in Unterwäsche, mit Büstenhalter und Unterhose, sie hatte sich das Kleid ausgezogen und sich wie eine Kranke ins Bett gelegt, die Laken nur bis zur Taille, sie hatte allein getrunken, und sie hatte mich angeschrien, sie hatte geweint, und sie hatte vor sich hin gesummt, und sie war eingeschlafen. Sie unterschied sich nicht sehr von einer Toten, sie unterschied sich nicht sehr von einem Bild, nur dass sie am nächsten Morgen aufwachen und das Gesicht wenden würde, das sie jetzt gegen das Kissen drückte. (›Sie würde das Gesicht wenden und nicht mehr ihren schönen Nacken zeigen‹, dachte ich, ›vielleicht wie der von Nieves, der sich als Einziges an ihr während der vergangenen Zeit nicht verändert hatte; sie würde das Gesicht wenden, im Unterschied zu der jungen Dienerin, die Sofonisba Gift oder Artemisia Asche reichte, und weil diese Dienerin sich niemals umdrehen und ihre Herrin niemals den Kelch ergreifen und an die Lippen führen würde, hätte der Wärter Mateu sie beide mit seinem Feuerzeug verbrannt, und auch den verschwommenen Kopf der Alten
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