Mein Herz so weiß
Weise, uns umfassend zu kontrollieren, bestünde darin, einen zweiten, mit Kopfhörern und Mikrophon ausgestatteten Übersetzer einzusetzen, der uns wiederum simultan in die erste Sprache übersetzen würde, so dass man feststellen könnte, dass wir in der Tat das sagen, was in diesen Augenblicken im Saal gesagt wird. Aber in diesem Fall wäre ein dritter, gleichfalls mit seinen Apparaten ausgerüsteter Übersetzer nötig, der wiederum den zweiten kontrollieren und ihn rückübersetzen müsste, und vielleicht ein vierter, um den dritten zu überwachen, und so weiter, fürchte ich, bis ins Unendliche, Übersetzer, die Dolmetscher kontrollieren, und Dolmetscher, die Übersetzer kontrollieren, Vortragende, die Kongressteilnehmer, und Stenographen, die Redner, Übersetzer, die Regierungschefs, und Amtsdiener, die Dolmetscher kontrollieren. Alle würden sich gegenseitig überwachen, und niemand würde zuhören noch etwas transkribieren, was auf lange Sicht zur Einstellung der Sitzungen und der Kongresse und der Versammlungen und zur endgültigen Schließung der internationalen Organisationen führen würde. Es ist daher besser, Risiken einzugehen und die (bisweilen ernsten) Vorfälle und (bisweilen dauerhaften) Missverständnisse in Kauf zu nehmen, zu denen es unvermeidlich aufgrund der Ungenauigkeiten der Dolmetscher kommt, und wenn es auch nicht oft geschieht, dass wir uns freiwillig Scherze erlauben (wir setzen unsere Arbeitsstelle aufs Spiel), so widerstehen wir doch nicht der Versuchung, ab und zu ein paar Unwahrheiten einfließen zu lassen. Sowohl den Repräsentanten der Nationen als auch unseren verbeamteten Vorgesetzten bleibt nichts anderes übrig, als uns zu vertrauen, und dies gilt auch für die hohen Würdenträger der verschiedenen Länder, wenn unsere Dienste außerhalb der Organisationen angefordert werden, bei einer jener Begegnungen, die man
Gipfeltreffen
nennt, oder bei den offiziellen Besuchen, die sie einander in ihren befreundeten, verfeindeten oder neutralen Territorien abstatten. Bei diesen hohen Anlässen, von denen wichtige Handelsvereinbarungen, Nichtangriffspakte, Verschwörungen gegen Dritte oder sogar Kriegserklärungen oder Waffenstillstände abhängen, wird allerdings bisweilen versucht, eine größere Kontrolle des Dolmetschers zu erreichen, indem man einen zweiten Übersetzer einsetzt, der natürlich nicht rückübersetzen wird (das gäbe ein zu großes Durcheinander), wohl aber dem ersten aufmerksam zuhören und ihn überwachen und bestätigen wird, ob er richtig übersetzt oder nicht. Auf diese Weise lernte ich Luisa kennen, die aus irgendeinem Grund für seriöser, vertrauenswürdiger und loyaler als ich galt und zur Kontrolldolmetscherin bestellt wurde (Sicherheitsdolmetscher werden sie genannt, intern auch Ko-Dolmetscher, weshalb man sie am Ende »der Ko« oder »die Ko« nennt, sehr hässlich), um während der persönlichen Treffen auf höchster Ebene, die in unserem Land vor weniger als zwei Jahren zwischen unseren Repräsentanten und denen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien stattfanden, meine Worte zu bestätigen oder zu korrigieren.
Diese Skrupel haben nicht allzu viel Sinn, denn je höher die Würdenträger sind, die sich treffen, um miteinander zu sprechen, umso unbedeutender ist in Wirklichkeit, was sie untereinander sagen, und umso weniger schwerwiegend wäre ein Irrtum oder ein Zuwiderhandeln unsererseits. Ich vermute, dass man diese Vorsichtsmaßnahmen ergreift, um das Gesicht zu wahren, und damit auf den Pressefotos und bei den Fernsehaufnahmen stets jene Gestalten mit gerecktem Kopf zu sehen sind, die unbequem auf einem Stuhl zwischen den beiden Staatenlenkern hocken, welche hingegen weiche Sessel oder Breitwand-Sofas einzunehmen pflegen; und wenn es zwei Personen sind, die jeweils mit einem Notizblock in der Hand auf äußerst harten Stühlen sitzen, dann wird das Treffen in den Augen der Betrachter noch mehr nach eisigem Gipfeltreffen aussehen. Denn bei diesen Besuchen reisen die sehr hohen Würdenträger in Begleitung eines ganzen Gefolges von Fachleuten, Experten, Wissenschaftlern und Spezialisten an (zweifellos dieselben, die auch die Reden für sie schreiben, die wir übersetzen), die so gut wie unsichtbar sind für die Presse, sich jedoch ihrerseits hinter den Kulissen mit den Experten- und Spezialistenkollegen des besuchten Landes treffen. Sie sind es, die diskutieren und entscheiden und wissen, die bilaterale Vereinbarungen abfassen, die
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