Mein Herz so weiß
Lippen hob und sie leicht beklopfte, um mir zu bedeuten, ich solle Schweigen bewahren. Ich weiß, dass ich diese lächelnden Lippen, über denen ein Zeigefinger lag, der das Lächeln nicht auszulöschen vermochte, nie vergessen werde. Ich glaube, es war in jenem Augenblick (oder mehr in jenem Augenblick), dass ich dachte, es würde mir zum Vorteil gereichen, mit dieser Frau zu tun zu haben, die jünger war als ich und so gut beschuht. Ich glaube, es war auch die Verbindung der Lippen und des Zeigefingers (die offenen Lippen und der Zeigefinger, der sie versiegelte, die gekrümmten Lippen und der gerade Zeigefinger, der sie zerteilte), die mich ermutigte, alles andere als genau zu sein bei der nächsten Frage, die unser sehr hoher Würdenträger schließlich stellte, nachdem er aus einer Tasche einen mit Schlüsseln überladenen Schlüsselring gezogen hatte, mit dem er in unpassender Weise herumzuspielen begann:
»Soll ich einen Tee für Sie bestellen?«
Und ich übersetzte nicht, ich meine, das, was ich ihm auf Englisch in den Mund legte, war nicht seine höfliche Frage (die aus dem Handbuch stammte und ein wenig spät kam, man kann es nicht anders sagen), sondern eine andere:
»Sagen Sie, liebt man Sie eigentlich in Ihrem Land?«
Ich gewahrte die Bestürzung Luisas in meinem Rücken, mehr noch, ich sah, wie sie sofort die erschrockenen Beine nebeneinanderstellte (die sehr langen Beine, die stets in meinem Blickfeld waren, wie die neuen und teuren Prada-Schuhe, sie wusste ihr Geld auszugeben, oder jemand hatte sie ihr geschenkt), und ein paar Sekunden lang, die nicht kurz waren (ich spürte, wie der Schrecken sich meines Nackens bemächtigte), erwartete ich ihr Eingreifen und ihre Denunziation, ihre Richtigstellung und ihren Verweis, oder dass sie unverzüglich das Dolmetschen übernähme, die »Ko«, dazu war sie da. Aber diese Sekunden vergingen (eins, zwei, drei und vier), und sie sagte nichts, vielleicht (dachte ich damals), weil die englische Staatenlenkerin nicht beleidigt wirkte und ohne zu zögern, ja mit einer Art verhaltener Heftigkeit antwortete: »Ich frage mich das oft«, sagte sie, und zum ersten Mal schlug sie ihre Beine übereinander, ohne sich um ihren sittsamen Rock zu bekümmern, wobei sie ein paar weißliche und sehr quadratische Knie sehen ließ. »Sie stimmen für einen, ja, sogar mehr als einmal. Man wird gewählt, sogar mehr als einmal. Und doch, es ist seltsam, man hat nicht das Gefühl, dass sie einen deshalb lieben.«
Ich übersetzte genau, nur dass in der spanischen Fassung das »das« des ersten Satzes verschwand und das Ganze für unser Oberhaupt wie eine spontane britische Überlegung klang, die ihm, nebenbei gesagt, als Gesprächsthema zu gefallen schien, denn er schaute die Dame mit kaum merklicher Überraschung und größerer Sympathie an und antwortete ihr, während er seine zahlreichen Schlüssel fröhlich aneinanderstoßen ließ:
»Das ist wahr. Die Stimmen geben keinerlei Sicherheit in dieser Hinsicht, so groß ihr Nutzen auch für uns sein mag. Und ich sage Ihnen eines: ich glaube, die Diktatoren, die Regierungschefs, die nie Stimmen bekommen haben noch demokratisch gewählt worden sind, werden in ihren Ländern mehr geliebt. Auch mehr gehasst, natürlich, aber stärker geliebt von denen, die sie lieben, deren Zahl außerdem ständig größer wird.«
Ich fand, dass der letzte Kommentar, »deren Zahl außerdem ständig größer wird«, ein wenig übertrieben, wenn nicht falsch war, weshalb ich alles korrekt übersetzte, außer diesem Kommentar (ich ließ ihn weg und zensierte ihn, kurz gesagt), und wartete erneut auf die Reaktion Luisas. Sie schlug abermals rasch die Beine übereinander (ihre goldfarbenen, rundlichen Knie), aber das war das einzige Anzeichen dafür, dass sie meine Freiheit bemerkt hatte. Vielleicht, dachte ich, missbilligte sie sie nicht, obwohl ich weiterhin spürte, wie ihr bestürzter oder vielleicht empörter Blick sich in meinen Nacken bohrte. Ich konnte mich nicht umdrehen, um sie anzusehen, das war mein Pech.
Die Staatenlenkerin schien munter zu werden:
»Oh, das glaube ich wohl«, sagte sie. »Die Leute lieben zu einem Gutteil, weil man sie zu lieben zwingt. Das passiert auch in den persönlichen Beziehungen, nicht wahr? Wie viele Paare sind nicht deshalb Paare, weil einer der beiden, nur einer, darauf bestand und den anderen zwang, ihn zu lieben?«
»Zwang oder überzeugte?«, fragte unser hoher Würdenträger, und ich sah, dass er zufrieden
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