Mein Herz so weiß
Bedingungen der Zusammenarbeit festlegen, einander versteckt oder offen drohen, die Streitpunkte erörtern, sich gegenseitig erpressen und versuchen, den größten Nutzen für ihre jeweiligen Staaten herauszuholen (gewöhnlich sprechen sie Fremdsprachen und sind unser Ruin, bisweilen benötigen sie uns gar nicht). Die höchsten Würdenträger hingegen haben nicht die geringste Vorstellung von dem, was eingefädelt wird, oder erfahren es erst, wenn alles vorbei ist. Sie halten lediglich ihr Gesicht hin für die Aufnahmen, nehmen an irgendeinem Abendessen in großem Stil oder einer Galaveranstaltung teil und setzen die Unterschrift auf die Schriftstücke, die ihre Fachleute ihnen am Ende der Reise vorlegen. Was sie zueinander sagen, hat daher fast nie die geringste Bedeutung, und, was noch peinlicher ist, oft haben sie sich überhaupt nichts zu sagen. Das wissen wir Übersetzer und Dolmetscher, aber trotzdem müssen wir bei diesen privaten Treffen aus drei Gründen immer anwesend sein: die höchsten Würdenträger sind im Allgemeinen der Fremdsprachen unkundig; wenn wir nicht da wären, würden sie das Gefühl haben, man würdigte ihr Geschwätz nicht angemessen; wenn es zu einer Verstimmung kommt, kann man uns die Schuld zuschieben.
Bei besagter Gelegenheit war der spanische hohe Würdenträger männlich und der britische weiblich, weshalb es wohl angebracht schien, dass der erste Dolmetscher seinerseits männlich und der zweite, der Ko-Dolmetscher weiblich war, um eine komplizenhafte Atmosphäre und ein Gleichgewicht der Geschlechter zu schaffen. Ich saß auf meinem Folterstuhl zwischen den beiden Staatenlenkern und Luisa auf ihrem Marterstuhl ein wenig links von mir, das heißt zwischen dem weiblichen Staatenlenker und mir, aber etwas nach hinten versetzt, wie eine kontrollierende und drohende Präsenz, die meinen Nacken fixierte und die ich nur (schlecht) aus dem linken Augenwinkel sehen konnte (hingegen sah ich deutlich ihre sehr langen, übereinandergeschlagenen Beine und ihre neuen Prada-Schuhe, die Marke war mir am nächsten). Ich will nicht leugnen, dass ich beim Betreten des intimen kleinen Raumes (völlig geschmacklos), als sie mir vorgestellt wurde und bevor wir uns setzten, sehr auf sie geachtet hatte (das heißt, unbewusst), während die Fotografen ihre Fotos machten und die beiden hohen Würdenträger taten, als sprächen sie bereits miteinander vor den Fernsehkameras: sie taten so, denn weder sprach unser hoher Würdenträger ein Wort Englisch (nun ja, beim Abschied wagte er ein »Good luck«) noch die britische hohe Würdenträgerin ein Wort Spanisch (obwohl sie »Buen día« zu mir sagte, als sie mir mit eisernem Griff die Hand drückte). Während also der eine auf Spanisch Dinge murmelte, die für die Kameraleute und Fotografen unhörbar und völlig unzusammenhängend waren, und dabei nicht aufhörte, seinen Gast mit einem großen Lächeln anzuschauen, so als schenkte er ihm Gehör (für mich waren sie jedoch hörbar: ich glaube mich zu erinnern, dass er wiederholt sagte: »Eins, zwei, drei und vier, nett werden wir’s haben hier«), murmelte die andere Sinnlosigkeiten in ihrer Sprache und übertraf ihn noch in ihrem Lächeln (»Cheese, cheese«, sagte sie, wie man in der angelsächsischen Welt jedem zu sagen rät, der sich fotografieren lässt; und dann lautmalerische und unübersetzbare Dinge wie »Tweedle tweedle, biddle diddle, twit and fiddle, tweedle twang«).
Was mich betrifft, so gebe ich zu, dass auch ich Luisa unwillkürlich ein großes Lächeln schenkte während jener Prolegomena, als unser Eingreifen noch nicht nötig war (sie antwortete mir nur mit einem halben Lächeln, schließlich und endlich war sie da, um mich zu überwachen), und als es dann nötig war und wir uns gesetzt hatten, konnte ich aufgrund der bereits beschriebenen Anordnung unserer Verbrecherstühle unmöglich weiter auf sie achten oder ihr zulächeln. Um die Wahrheit zu sagen, es dauerte noch eine Weile, bis unser Eingreifen erforderlich war, denn nachdem die Journalisten aufgefordert worden waren, sich zurückzuziehen (»Es reicht«, sagte unser hoher Würdenträger zu ihnen, wobei er eine Hand hob, die mit dem Ring), und ein Kammerdiener oder ein Faktotum die Tür von außen geschlossen hatte und wir vier allein geblieben waren, bereit für das erhabene Gespräch, ich mit meinem Notizblock und Luisa mit ihrem auf dem Schoß, trat plötzlich ein äußerst unerwartetes und äußerst unbehagliches Schweigen ein. Meine
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