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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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venezianischen Dialekt sexuell aufzuklären; darüber, ob es rentabel sei, die äußerst tödlichen und kostspieligen Waffen der südafrikanischen Fabrik Armscor weiter zu finanzieren, da sie theoretisch nicht exportiert werden konnten; über die Möglichkeiten, eine weitere Kopie des Kreml in Burundi oder Malawi, glaube ich, zu errichten (Hauptstädte Bujumbura und Zomba); über die Notwendigkeit, von unserer Halbinsel das ganze Reich der Levante (einschließlich Murcia) abzutrennen, um es in eine Insel zu verwandeln und auf diese Weise die alljährlichen sturzbachartigen Regengüsse und Überschwemmungen zu vermeiden, die unseren Haushalt belasten; über die Marmorpest in Parma, über die Ausbreitung von Aids auf den Tristan-da-Cunha-Inseln, über die Situation des Fußballs in den Arabischen Emiraten, über die geringe Kampfmoral der bulgarischen Seestreitkräfte und über ein seltsames Verbot, die Toten zu begraben, die sich deshalb stinkend auf einem Stück Ödland häuften, das ein Bürgermeister, der schließlich abgesetzt wurde, vor einigen Jahren willkürlich in Londonderry verfügt hatte. All dies und mehr habe ich übersetzt, habe ich übermittelt und habe ich andächtig wiederholt, so wie es andere, Experten und Wissenschaftler und Leuchten und Gelehrte aller Disziplinen und aus den fernsten Ländern sagten, ungewöhnliche, exotische, bewanderte und herausragende Leute, Nobelpreisträger und Professoren aus Oxford und Harvard, die Berichte über die ungeahntesten Probleme einsandten, weil ihre Regierungschefs oder die Repräsentanten der Regierungschefs oder die Delegierten der Repräsentanten oder aber deren Stellvertreter sie bei ihnen in Auftrag gegeben hatten.
    Und doch sind die Übersetzungen das Einzige, was in diesen Organisationen wirklich funktioniert, mehr noch, es existiert in ihnen ein wahres Übersetzungsfieber, leicht krankhaft, leicht ungesund, denn jedes Wort, das in ihnen ausgesprochen wird (auf einer Sitzung oder einer Versammlung) und jeder Wisch, der ihnen übergeben wird, egal, wovon er handelt und egal, für wen er im Prinzip bestimmt ist oder für welchen Zweck (selbst wenn er geheim ist), wird unverzüglich für alle Fälle in verschiedene Sprachen übersetzt. Wir Übersetzer und Dolmetscher übersetzen und dolmetschen ununterbrochen, ohne Unterschied und fast ohne Pause während unserer Arbeitszeiten, meistens ohne dass wir genau wissen, wozu wir übersetzen noch für wen wir dolmetschen, meistens für die Archive, wenn es ein Text ist, und für ein paar Leute, die noch dazu nicht einmal die zweite Sprache verstehen, in die wir dolmetschen, wenn es eine Rede ist. Jedwede Idiotie, die irgendein Idiot spontan an eine dieser Organisationen schickt, wird augenblicklich in die sechs offiziellen Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch und Arabisch übersetzt. Alles ist in Französisch, und alles ist in Arabisch, alles ist in Chinesisch, und alles ist in Russisch, jeder Schwachsinn irgendeines spontanen Schreibers, jeder Einfall irgendeines Idioten. Vielleicht fängt man nichts damit an, aber es wird auf alle Fälle übersetzt. Mehr als einmal hat man mir Rechnungen zum Übersetzen gegeben, wenn man weiter nichts mit ihnen zu tun brauchte, als sie zu bezahlen. Diese Rechnungen, da bin ich mir sicher, werden bis zum Ende aller Zeiten in einem Archiv aufbewahrt, auf Französisch und Chinesisch, auf Spanisch und Arabisch, auf Englisch und Russisch, mindestens. Einmal rief man mich dringend in meine Kabine, damit ich die (nicht schriftlich vorhandene) Rede übersetzte, die ein regierendes Individuum halten sollte, das, wie ich selbst vor zwei Tagen in einem vierspaltigen Artikel in der Presse gelesen hatte, in seinem Heimatland im Verlauf eines Staatsstreichs getötet worden war, der sein Ziel, ihn zu stürzen, voll und ganz erreicht hatte.
    Die größten Spannungen entstehen in diesen internationalen Foren nicht durch die heftigen Diskussionen zwischen Delegierten und Repräsentanten kurz vor einer Kriegserklärung, sondern dann, wenn es aus irgendeinem Grund keinen Übersetzer gibt, der übersetzen könnte, oder dieser mitten in einem Vortrag aus physischem oder psychischem Grund versagt, was relativ häufig passiert. Man muss in diesem Beruf sehr starke Nerven haben, nicht so sehr aufgrund der Schwierigkeit an sich, das Gesagte im Flug zu begreifen und zu vermitteln (was schwierig genug ist), als des Druckes wegen, den die Regierungschefs und die Experten auf uns

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