Mein Herz so weiß
werden. Die Dolmetscher hassen die Übersetzer und die Übersetzer die Dolmetscher (wie die Simultandolmetscher die Konsekutivdolmetscher und die Konsekutivdolmetscher die Simultanübersetzer), und ich, der ich beides gewesen bin (jetzt nur noch Dolmetscher, es hat mehr Vorteile, obwohl es erschöpfend ist und die Psyche beeinträchtigt), kenne ihre jeweiligen Gefühle sehr genau. Die Dolmetscher halten sich für Halbgötter oder für Halbdiven, da sie sich im Blickfeld von Regierungschefs und Repräsentanten und stellvertretenden Delegierten befinden, und die sind alle eifrig um sie bemüht, oder besser gesagt, um ihre Anwesenheit und Arbeit. Jedenfalls lässt sich nicht leugnen, dass sie von den Herrschern der Welt erblickt werden können, was sie veranlasst, immer sorgfältig hergerichtet und geschniegelt und gebügelt zu erscheinen, und nicht selten kann man durch die Glasscheibe sehen, wie sie sich die Lippen schminken, sich kämmen, sich den Krawattenknoten richten, sich mit der Pinzette Haare auszupfen, sich Fussel von der Kleidung blasen oder sich den Backenbart stutzen (alle stets mit dem Taschenspiegel in Reichweite). Dies schafft Unbehagen und Ressentiment bei den Übersetzern von Texten, die zwar verborgen in ihren mit anderen geteilten, schmuddeligen Bürozimmern sitzen, aber ein Verantwortungsgefühl haben, das bewirkt, dass sie sich unendlich seriöser und kompetenter fühlen als die eingebildeten Dolmetscher mit ihren hübschen, individuellen, durchsichtigen, schalldichten und je nach Fall sogar mit Wohlgerüchen erfüllten Kabinen (es gibt Günstlingswirtschaft). Alle verachten und verabscheuen einander, aber was uns alle gleich macht, ist, dass niemand von uns etwas über jene so fesselnden Angelegenheiten weiß, von denen ich bereits einige Beispiele angeführt habe. Ich habe die Reden oder Texte wiedergegeben, von denen ich zuvor gesprochen habe, aber ich erinnere mich kaum an ein Wort von dem, was sie beinhalteten; nicht, weil die Zeit vergangen und das Gedächtnis im Bewahren von Information begrenzt ist, sondern weil ich mich im gleichen Augenblick, da ich all dies übersetzte, schon an nichts mehr erinnerte, das heißt, schon zum damaligen Zeitpunkt bekam ich nicht mit, was der Redner sagte, oder was ich danach oder, wie angenommen wird, gleichzeitig sagte. Er oder sie sagte es, und ich sagte oder wiederholte es, aber auf eine mechanische Weise, die nichts mit Verstehen zu tun hat, ja sogar unvereinbar damit ist: nur wenn man überhaupt nicht versteht und verarbeitet, was man hört, kann man es mehr oder minder genau wiedergeben (vor allem, wenn man ohne Pause empfängt und sendet), und das Gleiche geschieht mit den Schriften dieser Art, die nicht im mindesten literarisch sind und bei denen weder Korrektur noch Nachdenken noch Umkehr möglich ist. Daher ist diese ganze wertvolle Information, von der man annehmen könnte, wir Übersetzer und Dolmetscher der internationalen Organisationen besäßen sie, in Wirklichkeit etwas, das uns völlig entgeht, von vorn bis hinten und von oben bis unten, wir wissen nicht ein Wort von dem, was in der Welt angezettelt, ausgebrütet und ausgekocht wird, wir haben nicht die geringste Ahnung. Und wir bleiben zwar zuweilen in unseren Ruhepausen sitzen und hören den hochgestellten Persönlichkeiten zu, ohne sie zu übersetzen, aber die identische Terminologie, die alle verwenden, erweist sich als unverständlich für jeden, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, so dass wir dann, wenn es uns einmal gelingt, aus irgendeinem unerklärlichen Grund ein paar Sätze zu behalten, in Wirklichkeit alle Anstrengungen unternehmen, um sie gleich darauf bewusst zu vergessen, denn diesen unmenschlichen Jargon länger im Kopf zu behalten, als unbedingt nötig ist, um ihn in die zweite Sprache oder den zweiten Jargon zu übertragen, ist eine überflüssige und äußerst schädliche Qual für unser malträtiertes Gleichgewicht.
Unter anderem frage ich mich oft erschrocken, ob jemand etwas weiß von dem, was in diesen Foren gesagt wird, vor allem in den Sitzungen, die nur der Rhetorik dienen. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass die Versammlungsteilnehmer sich untereinander in ihrem wilden Rotwelsch verstehen, so trifft es doch völlig zu, dass die Dolmetscher nach Belieben den Inhalt der Ansprachen verändern können, ohne dass die Möglichkeit wirklicher Kontrolle oder die materielle Zeit für ein Dementi oder eine Abänderung existieren. Die einzige Art und
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