Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Aufgabe war heikel, und meine Ohren waren besonders gespitzt in Erwartung der ersten vernünftigen Worte, die mir den Ton anzeigen würden und die ich sogleich würde übersetzen müssen. Ich schaute unseren Staatenlenker an, dann die Staatenlenkerin der anderen und abermals unseren. Sie betrachtete ihre Fingernägel mit erstaunter Miene und die sahneweißen Finger aus einiger Entfernung. Er befühlte die Taschen seines Jacketts und seiner Hose, nicht wie jemand, der nicht finden kann, was er tatsächlich sucht, sondern wie jemand, der tut, als finde er es nicht, um Zeit zu gewinnen (zum Beispiel den Fahrschein, den ein Zugschaffner von jemandem verlangt, der keinen hat). Ich hatte das Gefühl, als säße ich im Wartezimmer des Zahnarztes, und einen Augenblick lang fürchtete ich, unser Repräsentant würde ein paar Wochenzeitschriften hervorholen und an uns verteilen. Ich wagte, Luisa mit fragend hochgezogenen Brauen den Kopf zuzuwenden, und sie machte eine (nicht strenge) Handbewegung in meine Richtung, die mir zu Geduld riet. Schließlich zog der spanische hohe Würdenträger aus einer bereits zehnmal befühlten Tasche ein (leicht kitschiges) metallenes Zigarettenetui und fragte seine Kollegin:
    »Sagen Sie, stört es Sie, wenn ich rauche?«
    Und ich beeilte mich, es zu übersetzen.
    »Do you mind if I smoke, Madam?«, sagte ich.
    »Nein, wenn Sie den Rauch nach oben blasen«, antwortete die britische Staatenlenkerin, während sie von den Fingernägeln abließ und sich den Rock glattstrich, und ich beeilte mich, zu übersetzen, wie es hier steht.
    Der hohe Würdenträger zündete einen Zigarillo an (er hatte die Größe und Form einer Zigarette, war aber dunkelbraun, ich würde sagen, ein Zigarillo), nahm ein paar Züge und achtete darauf, den Rauch zur Decke hin auszustoßen, die, wie ich sah, Flecken aufwies. Wieder herrschte Schweigen, aber nach einer kurzen Weile stand er von seinem bequemen Sessel auf, trat an einen kleinen Tisch, auf dem sich vielleicht zu viele Flaschen befanden, bereitete sich einen Whisky mit Eis (mich wunderte, dass kein Kellner oder Sommelier ihm zuvor etwas serviert hatte) und fragte:
    »Sie trinken nicht, nicht wahr?«
    Und ich übersetzte, ebenso wie die Antwort, wenn auch unter abermaliger Hinzufügung von »Madam« am Ende des Satzes.
    »Nicht zu dieser Tageszeit, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass ich Ihnen keine Gesellschaft leiste.« Und die englische Dame zog sich den schon weit heruntergezogenen Rock ein wenig mehr herunter.
    Die langen Pausen und das karge Gespräch oder vielmehr der alberne Austausch einzelner Sätze begann mich zu langweilen. Das andere Mal, da ich als Dolmetscher zwischen führenden Persönlichkeiten eingesetzt worden war, hatte ich zumindest das Gefühl gehabt, so gut wie unersetzlich zu sein mit meinen vollkommenen Kenntnissen der Sprachen, die ich spreche. Nicht, dass sie einander große Dinge gesagt hätten (ein Spanier und ein Italiener), aber es galt doch, einen recht komplizierten Satzbau und Wortschatz wiederzugeben, die nicht jeder durchschnittliche Sprachkundige hätte gut übersetzen können, im Unterschied zur jetzigen Situation: was sie sagten, hätte ein Kind bewältigen können.
    Unser Oberhaupt nahm wieder Platz mit dem Whisky in der einen und dem Zigarillo in der anderen Hand, trank einen Schluck, seufzte erschöpft, stellte das Glas ab, schaute auf die Uhr, glättete sich die Schöße seines Jacketts, die er mit seinem Körper eingeklemmt hatte, kramte abermals in den Taschen herum, atmete mehr Rauch ein und aus, lächelte, nunmehr lustlos (die britische Staatenlenkerin lächelte ebenfalls und noch lustloser und kratzte sich die Stirn mit den langen Nägeln, die sie zu Beginn erstaunt betrachtet hatte, in der Luft lag einen Augenblick lang der Geruch nach Puder), und in diesem Moment begriff ich, dass die vorgesehenen dreißig oder fünfundvierzig Minuten wie im Vorzimmer des Steuerberaters oder des Notars vergehen und sie sich darauf beschränken konnten, zu warten, dass die Zeit verginge und der Amtsdiener oder Famulus ihnen wieder die Tür aufmachte, wie der Pedell der Universität, der apathisch verkündet: »Es ist Zeit«, oder die Krankenschwester, die unangenehmerweise ruft: »Der Nächste«. Ich wandte mich erneut zu Luisa um, dieses Mal, um ihr unauffällig etwas zuzuflüstern (ich glaube, ich wollte ihr zwischen den Zähnen sagen: »Was für eine Blamage«), aber ich sah, dass sie, lächelnd und unbeirrt, den Zeigefinger an die

Weitere Kostenlose Bücher