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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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warten und sein Gesicht sehen, wenn er seine Post abholt.«
    Berta hatte gesagt ›wir wissen‹, sie schloss mich ein in ihre Neugier und ihr Interesse, oder es war mehr. Sie machte mich ihr gleich.
    »Bist du verrückt? Wer weiß denn, wann er da hingeht, er kann tagelang nicht hingehen. Was willst du, dass ich den ganzen Tag in einem Postamt verbringe?«
    Bertas Blick verschleierte sich vor Unwillen. Das war nicht häufig bei ihr. Sie hatte entschieden, was zu tun war, sie duldete keinen Widerspruch, nicht einmal einen Einwand.
    »Nein, das will ich nicht. Nur, dass du ein paarmal in den nächsten Tagen hingehst, in deiner Freizeit, nach der Arbeit, eine halbe Stunde, vielleicht hast du ja Glück, mehr nicht. Dass du es zumindest versuchst. Wenn du ein paarmal keines hast, nun gut, dann vergessen wir es. Aber probieren können wir es doch. In diesen Tagen wird er auf meine Antwort warten, das Video, das ich ihm noch nicht schicke, vielleicht kommt er täglich vorbei, um zu sehen, ob es gekommen ist. Wenn er wegen Arbeit hier ist, dann wird er vielleicht einen Arbeitstag von neun bis fünf haben, es ist sehr gut möglich, dass er danach zum Postfach geht, nach fünf, so mache ich es gewöhnlich. Vielleicht klappt es ja.« Sie hatte wieder den Plural benutzt, sie hatte gesagt ›dann vergessen wir es‹. Ich schaute sie wohl eher nachdenklich als verärgert an, denn sie fügte, nun ruhig, hinzu, sie lächelte: »Bitte.« Der Halbmond, die Narbe hingegen war sehr blau geworden: Ich war kurz davor, ihr die Wange sauberzumachen.
    Dreimal begab ich mich in das Postamt Kenmore Station, das erste Mal am folgenden Nachmittag nach der Arbeit, das zweite Mal zwei Tage darauf, am Donnerstag jener Woche, ebenfalls nach einem erschöpfenden Tag des Dolmetschens. Ich blieb nicht eine halbe Stunde, wie Berta vorgeschlagen hatte, sondern beide Male fast eine Stunde, Opfer der Angstvorstellung, die immer jene befällt, die vergeblich warten, der Befürchtung, dass just in dem Augenblick, da man geht, die Person kommt, die sich so verspätet hat, so muss es der Mulattin Miriam an jenem heißen Nachmittag in Havanna ergangen sein, als sie mit schleifendem Absatz rasch zur anderen Seite der Esplanade lief und Guillermo nicht erschien und sie nicht fortging. Guillermo erschien nicht am Dienstag und auch nicht am Donnerstag, oder ›Bill‹ oder ›Jack‹ oder ›Nick‹ oder Pedro Hernández. Zum Glück gibt es in New York jederzeit und überall genügend Subjekte mit verdächtigem oder sogar anstößigem Verhalten, so dass niemandem ein Individuum mit Mantel, Zeitung und Buch in einer Zweigstelle auffallen kann, in der geschäftige Leute Pakete abholten oder aufgaben und ab und zu jemand eiligen Schritts und mit einem Schlüssel in der Hand hereinkam, um sein silbriges Fach zu öffnen, den Arm hineinzustecken, herumzutasten und bisweilen eine Ausbeute an Briefumschlägen, bisweilen abermals die leere Hand herauszuziehen. Aber keine dieser eiligen Personen ging auf die P. O. Box 524 zu, die ich sogleich lokalisiert hatte.
    »Noch einmal«, bat Berta mich Freitagabend, eine Woche nach Erhalt des Videos, nach sieben Tagen lässt uns das, was uns untergehen ließ, wieder obenauf sein, das passiert zuweilen. »Morgen früh, am Wochenende, vielleicht ist er so beschäftigt, dass er nur sonnabends hingehen kann.«
    »Oder vielleicht ist er so frei, dass er in all diesen Tagen zu irgendeiner der vielen Stunden vorbeigekommen ist, in denen ich nicht da war. Das hat keinen Sinn, ich bin jedes Mal eine Stunde da gewesen.«
    »Ich weiß, und ich danke dir sehr dafür, du weißt nicht, wie sehr. Aber nur noch einmal, bitte, um es am Wochenende zu probieren. Wenn nicht, dann lassen wir es.«
    »Aber selbst wenn er kommt. Was hast du davon, dass ich ihn sehe? Dass ich ihn dir beschreibe? Ich bin kein Schriftsteller. Und wie soll ich wissen, ob er dir gefallen würde. Außerdem könnte ich dich anlügen und dir sagen, dass er gut aussieht, wenn er hässlich ist, oder hässlich, wenn er gut aussieht, was macht dir das schon. Weil er aussieht, wie ich dir erzähle, dass er aussieht, wirst du ihm nicht schicken, was er verlangt, oder es bleiben lassen. Was wirst du tun, wenn ich dir sage, dass er monströs ist oder wie ein Verbrecher aussieht? Das wird egal sein. Vielleicht sage ich es dir in jedem Fall, damit du ihm nichts schickst und keinen Kontakt mehr mit ihm hast.«
    Es kam keine Antwort auf meine letzten Sätze, ich nehme an, sie wollte nicht

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