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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Badewanne gekommen, der Bademantel diente vielleicht nur dem Zweck, keine erkennbare oder irgendwie signifikante Kleidung zu tragen, eine anonyme Aufmachung: Das einzig Eigene an ihm war eine schwarze, großformatige Uhr am rechten Handgelenk (die Hände unter den Armen), vielleicht ein Linkshänder oder ein Spinner. Er sprach abermals Englisch, aber sein Akzent verriet seine spanische Herkunft noch viel stärker als seine Briefe. Dieser Mann konnte nicht glauben, dass er sich auf diese Weise als Amerikaner ausgeben konnte vor einer in New York wohnhaften Spanierin, die als Dolmetscherin arbeitete (aber das wusste er nicht); und dennoch tat er es, die Sprache als Maske, als falsche Fährte, die Stimmen ändern sich leicht, wenn sie eine Sprache sprechen, die nicht ihre ist, ich weiß das sehr gut, auch wenn sie sie unvollkommen sprechen und ohne sich anzustrengen (der Mann sprach nicht schlecht, er hatte nur einen Akzent). Der Kragen des Bademantels ließ ein Dreieck seiner Brust erkennen, ebenfalls stark behaart und mit ein paar weißen Haaren, wenigen, das Haar war vorwiegend dunkel. Mit diesem Bademantel und so viel Haar erinnerte er mich an Sean Connery, den großen Schauspieler, ein Held meiner Kindheit: Wenn er als Agent mit Tötungslizenz auftrat, war er oft in ein Handtuch gewickelt oder im kurzen Morgenmantel oder im Kimono, wenn ich mich recht erinnere. Sofort gab ich dem gesichtslosen Mann das Gesicht von Connery, es ist schwierig, jemanden im Fernsehen sprechen zu hören, ohne sich seine Gesichtszüge vorzustellen. Einmal während der Aufnahme geriet sein Kinn ins Bild, weil er es senkte, wenige Sekunden lang, es schien gespalten, ohne es wirklich zu sein, der Schatten eines Grübchens, eine Kerbe, die Vertiefung im Knochen, aber nicht in der Haut, die sie gleichwohl durchscheinen ließ (ich erinnere mich nicht, ob der Schauspieler Sean Connery ein gespaltenes Kinn hat). Mehr als eine Minute lang sah man das fast reglose Bild des Oberkörpers mit den verschränkten Armen (aber er atmete), und man hörte nichts, als hätte der Mann die Kamera gestartet, bevor er sich seine Worte zurechtgelegt hatte, oder vielleicht überlegte oder memorierte er sie. In Wirklichkeit hörte man ganz im Hintergrund eine Musik, als liefe in der Ferne ein Radio oder ein Fernsehapparat. Ich wollte das Band schon im Schnellverfahren vorspulen, um zu sehen, ob sich das änderte und irgendeine Botschaft kam oder nicht, als ›Bill‹ schließlich zu sprechen begann. Seine Stimme vibrierte. Sie neigte zum Flüstern, aber sie war ein wenig hoch, fast schrill, sie wirkte nicht sehr passend für einen behaarten Mann und natürlich auch nicht für Sean Connery. Sein Adamsapfel bewegte sich. Er machte seltsame Pausen beim Reden, als hätte er seinen Text vor der Konfrontation mit der Videokamera in einfachen kurzen Sätzen abgefasst und rezitierte ihn jetzt. Bisweilen wiederholte er sie, es war schwer zu erkennen, ob als Stilmittel oder unfreiwillig, um seine Aussprache zu korrigieren. Die Wirkung war düster. Die Sätze waren nicht nur kurz, sondern sie klangen schneidend. Seine Stimme war wie eine Säge. Seine Stimme war wie die in Havanna durch die Balkontür und die Wand, wie die Guillermos, was übersetzt William ist, dessen Verkleinerungsform Bill ist und nicht Nick oder Jack. ›Ich habe dein Video erhalten, danke‹, sagte diese Stimme in ihrem verständlichen, wenn auch hispanisierten Englisch, in das er übersetzt haben dürfte und aus dem ich jetzt übersetze, nach all der Zeit. ›Es verspricht wirklich viel. Du bist sehr attraktiv. Aber das ist es eben. Dass es nur verspricht. Das genügt nicht. Das genügt nicht. Deshalb schicke ich dir auch etwas Partielles. Unvollständiges. Mein Gesicht zu sehen wäre für dich, wie für mich deinen Körper zu sehen. Deinen Körper. Für euch Frauen zählt das Gesicht. Die Augen. Das sagt ihr. Für die Männer das Gesicht mit Körper. Oder der Körper mit Gesicht. Das ist so. Ich habe dir schon gesagt, dass ich in einer sehr sichtbaren Arena arbeite.‹ (›A very visible arena‹, sagte er abermals, und das letzte Wort sprach er Spanisch aus, er konnte es nicht vermeiden aufgrund des spanischen Ursprungs des Wortes. Ich lehnte mich zurück. Ich zerknitterte meinen Mantel noch mehr.) ›Sehr sichtbar. Ich kann mich einer unbekannten Person nicht einfach so zu erkennen geben. Wenn ich nicht überzeugt bin, dass es sich lohnt. Um es zu wissen, muss ich dich ganz sehen. Ganz. Ich muss dich

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