Mein Herz so weiß
Er sah mich sehend an, ich meine, er fixierte seinen Blick bewusst einen Augenblick lang, und deshalb, dachte ich, würde er mich wiedererkennen, wenn er mich wiedersähe (wie ich ihn). Vom Schauspieler Sean Connery hatte er außer der Behaarung, die er jetzt nicht sehen ließ (er trug Krawatte und Jackett und über dem Arm einen dunklen Regenmantel, wie jemand, der einen Moment aus dem Auto gestiegen ist, das er nicht fährt), nur die großen Geheimratsecken, die er nicht verbarg, und die Augenbrauen, die stark nach oben gebogen waren und dann auch stark abfielen und sich bis zu den Schläfen hin fortsetzten, wodurch sie ihm, wie Connery, einen scharfsinnigen Ausdruck verliehen. Ich vermochte weder sein Kinn zu sehen noch es zu vergleichen, wohl aber, dass er auf der Stirn markante, wenn auch nicht alt machende Falten hatte, sicher ein Mann, der viel gestikulierte. Er war nicht hässlich, im Gegenteil, wahrscheinlich war er attraktiv oder gut aussehend auf seine Art, auf die Art eines beschäftigten, reifen und entschlossenen Mannes, eines Mannes mit Geld und ein wenig Lebensart (vielleicht frisch erworben): vermutlich machte er Geschäfte, vielleicht ging er in Lokale, in denen eng getanzt wurde, bestimmt sprach er über Kuba mit Sachkenntnis, wenn er Guillermo war – Guillermo von Miriam. Aber er injizierte sich wohl kein Plastik, sein eigener stechender Blick dürfte es ihm verbieten.
Ich dachte, ich könnte ihm ein wenig folgen, es war eine Art, das Warten zu verlängern, das in Wirklichkeit bereits beendet war. Als ich ihn aus der Zweigstelle hinausgehen sah, als ich kalkuliert hatte, dass die geschlossenen Schwingtüren das Geräusch meiner Schuhe auf dem indiskreten Marmor dämpfen würden, setzte ich mich in Bewegung, ebenfalls raschen Schrittes, um den Abstand nicht zu vergrößern. Von der Eingangstür her sah ich, wie er an ein parkendes Taxi herantrat, vom Bürgersteig aus bezahlte und es entließ, er hatte wohl beschlossen, ein wenig zu Fuß zu gehen, es war ein schöner Tag (er zog sich nicht den Mantel an, er warf ihn sich jetzt über die Schulter, ich sah, dass er von wässrigem Blau war, pedantisch, ich hatte meinen angezogen, der von der traditionellen Farbe der Regenmäntel ist, cremefarben). Im Gehen schaute er ab und zu die Umschläge an, plötzlich öffnete er einen, ohne den Schritt zu verlangsamen, las rasch seinen Inhalt, zerriss beides, Inhalt und Umschlag, und warf sie in einen Papierkorb, an dem er gleich darauf vorbeikam. Ich wagte nicht, darin herumzuwühlen, ich schämte mich bei dieser Vorstellung und fürchtete, ihn zu verlieren. Er lief weiter, den Blick nach vorne gerichtet, einer dieser Männer, die immer den Kopf hoch tragen, um an Statur zu gewinnen oder dominant zu erscheinen. In der Hand hielt er die anderen beiden Umschläge und das Paket mit Video (bestimmt, es war ein Video). In diesem Augenblick, als ich auf die Hand schaute, sah ich den Ehering am Ringfinger der rechten Hand, anders als ich, der ich ihn seit einigen Monaten an der linken trug, ich war schon dabei, mich daran zu gewöhnen. Abermals ohne den Schritt zu verlangsamen, öffnete er einen weiteren Umschlag und tat das Gleiche, was er mit dem ersten getan hatte, aber dieses Mal verwahrte er die Schnipsel in der Jacketttasche, vielleicht, weil kein Papierkorb zur Hand war (ein Mann mit Bürgersinn). Er blieb stehen, um eine Bücherauslage in der Fifth Avenue zu betrachten, Scribner’s, wenn ich mich recht erinnere, aber ihn interessierte wohl nichts oder nur das Geschäft zog ihn an, denn er ging sogleich weiter. Bei diesem Halt zog er sich den Mantel an, na ja, eher nicht, er legte ihn sich um die Schultern, ohne die Arme in die Ärmel zu stecken, wie Ranz, mein Vater, es sein ganzes Leben getan hat und noch immer tut, aber nicht viele Nordamerikaner es tun würden (nur die Gangster, George Raft). Ich folgte ihm in kurzer Entfernung, sie war sicher kürzer als in solchen Fällen ratsam ist, aber ich war noch nie jemandem gefolgt. Er hatte keinen Grund, Verdacht zu hegen, obwohl er nicht gerade einen Spaziergang machte, er ging zu schnell und blieb eigentlich nur an den Ampeln stehen, und auch das nicht immer, es herrscht weniger Verkehr an den Sonnabenden. Er schien es eilig zu haben, aber doch nicht so sehr, um das Taxi zu benötigen. Er kehrte zu Fuß wohin auch immer zurück, es war offensichtlich, dass er sich an irgendeinen bereits feststehenden Ort begab, womöglich rührten die Eile und das
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