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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ich oft an ›Bill‹ dachte, dachte ich, dann konnte sie nichts anderes tun, als an ihn zu denken, sie war es, zu der er von seinem Bademantel her gesprochen hatte, sie war es, von der er mehr sehen wollte, bevor er sich bereitfand, sie zu sehen, jener Mann, der so vieler Gewissheiten bedurfte. Niemand benutzte das Videogerät an jenem Wochenende, als wäre dies ein böses Vorzeichen oder als wäre es verpestet, und das Band von ›Bill‹ blieb darin, ohne dass jemand es zurückspulte oder herausnahm, abermals an sein Ende gelangt, wie ich es zunächst vorgefunden und danach zurückgelassen hatte.
    Am Montag jedoch, als wir beide morgens wieder zur Arbeit gegangen waren, fand ich beim Nachhausekommen am Nachmittag Berta vor, die ebenfalls gerade eingetroffen war (die Handtasche noch offen, in der Handtasche der Schlüssel, der Mantel ausgezogen, aber auf dem Sofa), mit dem Video auf dem Bildschirm. Sie schaute es ein weiteres Mal an und ließ es immer wieder stillstehen, vergeblich hielt sie es hier und dort an, denn, wie ich bereits erklärt habe, das Bild blieb unverändert während der drei oder vier Minuten seiner Dauer. Die Tage waren schon ziemlich kurz, es wurde dunkel, es war Montag, die Arbeit der Versammlung war erschöpfend für mich gewesen, ich nahm an, für sie ebenfalls, danach muss man sich ablenken, nicht zuhören. Aber Berta hörte noch immer zu. Ich sagte nichts, ich grüßte nur, ging in mein Zimmer, ging ins Badezimmer, erfrischte mich, als ich in das Wohnzimmer zurückkehrte, studierte sie noch immer das Band, hielt es an und ließ es ein wenig vorlaufen, um es wieder anzuhalten.
    »Hast du gemerkt, dass man in einem bestimmten Augenblick sein Kinn sieht?«, sagte sie. »Hier.« Sie hatte das Bild erstarren lassen, auf dem ›Bill‹ das Kinn senkte und es im Bildausschnitt sehen ließ.
    »Ja, ich hab es schon neulich abend gemerkt«, antwortete ich. »Es ist fast gespalten.«
    Sie hielt die Frage eine Sekunde zurück (aber es war nur eine Sekunde).
    »Nur daran könntest du ihn nicht erkennen, oder? Wenn du ihn plötzlich sehen würdest, meine ich. Wenn du sein Gesicht an einem anderen Ort sehen würdest.«
    »Nein, wie könnte ich das«, sagte ich. »Warum?«
    »Nicht einmal, wenn du wüsstest, dass er es ist? Wenn du vorher wüsstest, meine ich, dass er es sein muss.«
    Ich schaute das schwebende Kinn auf dem Bildschirm an.
    »Wenn ich es wüsste, vielleicht, vielleicht könnte ich es bestätigen. Warum?«
    Berta schaltete das Video mit der Fernbedienung ab, und das Bild verschwand (das Bild, das nach ihrem Willen wiederkehren konnte). Ihr Blick war erneut feurig oder beweglich.
    »Sieh mal, dieser Typ macht mich neugierig. Er ist ein Scheißkerl, aber ich denke daran, ihm zu schicken, worum er mich bittet. Das habe ich noch nie gemacht, niemand hat gewagt, es so zu verlangen, auf diese Weise, und auf schweinische Darstellungen habe ich nie mit etwas Gleichem von mir geantwortet, das kannst du dir denken. Aber in Wirklichkeit könnte es lustig sein, es einmal zu tun.« Berta wollte nicht angestrengt nach Argumenten suchen, deshalb unterbrach sie sich und änderte einfach den Ton: Sie lächelte. »So würde mein Körper der Nachwelt erhalten bleiben, auch wenn es eine sehr kurze Nachwelt wäre, alle Welt löscht die Bänder am Ende und benutzt sie wieder. Aber ich würde eine Kopie für mein Alter machen.«
    »Dein Bein auch für die Nachwelt, oder?«, sagte ich.
    »Das mit dem Bein werden wir schon sehen, dieser Dreckskerl.« Ihr Gesicht wurde einen Augenblick lang hart, als sie das Schimpfwort hervorstieß (aber es war nur ein Augenblick). »Aber bevor ich mich entschließe, muss ich ihn sehen, muss ich etwas mehr wissen, dieser Bademantel ohne Gesicht ist beängstigend. Ich muss wissen, wie er ist.«
    »Aber du kannst ihn erst sehen, wenn du es ihm schickst, sagt er, und auch dann ist es nicht sicher. Er muss dich erst für gut befinden, dieser Dreckskerl.« Mein Gesicht war hart geworden, nehme ich an, seit Beginn der Unterhaltung, nicht nur bei dem Schimpfwort. Seit drei Nächten vielleicht.
    »Ich kann nichts tun, weil er mein Video gesehen hat und mein Gesicht schon kennt. Aber dich hat er nicht gesehen; er weiß nicht einmal, dass du existierst. Wir wissen die Nummer seines Postfachs, bei dem er ab und zu vorbeigehen wird. Ich habe schon herausgefunden, wo es ist, es gehört zu Kenmore Station, es ist nicht sehr weit. Du könntest dorthin gehen, das Fach ausmachen, es überwachen,

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