Mein Herz springt (German Edition)
investieren bereit bin, aber in dem, wie ich mit schmerzhaften Situationen umgehe. Zumindest konnte ich das in der Vergangenheit entsprechend umsetzen.
Und in ein paar Minuten muss ich Hanno gegenüber wieder die starke Frau vorspielen, die die Situation im Griff zu haben scheint und bester Laune ist. Das fällt mir heute schwer. Ich leide unter der Situation. Ich vermisse Hanno so sehr. Und daswürde ich ihm am liebsten unverblümt sagen. Aber mein Kopf rät mir eine andere Vorgehensweise.
Mein Herz pulsiert, als ich mein Handy zum Wählen von Hannos Nummer in die Hand nehme. Hoffentlich wird er das Zittern meiner Stimme nicht bemerken. Es klingelt drei Mal, dann höre ich, dass sich Hanno am anderen Ende der Leitung meldet: »Hanno Clausen.«
Auch wenn ich weiß, dass er meinen Namen auf seinem Display gesehen haben muss, halte ich mich an die formale Eröffnung des Gespräches. »Hallo Hanno, hier ist Betty.«
Hanno scheint überrascht: »Hallo Betty. Schön, von dir zu hören.«
Der Anfang ist gemacht.
»Ich wollte mich einfach mal kurz melden und fragen, wie es dir geht.«
»Das ist nett von dir. Es geht mir gut. Leider ist im Moment alles sehr stressig. Ich bin viel unterwegs – jetzt gerade in Madrid. Es laufen viele Forschungsprojekte parallel. Und gleichzeitig ziehen die Hamburger Klinikkollegen an mir. Es gibt betriebswirtschaftliche Probleme, die dort gelöst werden müssen. Alles in allem: anstrengende Zeiten.«
»Ja«, bestätige ich Hanno. »Und wann gönnst du dir Ruhe und Erholung?«
»Nachts«, scherzt Hanno. »Zwischen zwei und sechs Uhr morgens.«
»Was ist mit den Wochenenden?«
»Die stehen meist auch im Zeichen der Arbeit oder des Reisens.«
Ich frage mich, ob ich nach seiner Familie fragen kann. Von der Blinddarmentzündung seines kleinsten Sohnes hatte er in einer E-Mail berichtet. Daran kann ich anknüpfen:
»Und wie geht es deinem Sohn? Geht es ihm wieder besser?«
»Ja, ja, das ist schon vergessen. Das war eine ganz normale Blinddarmentzündung. Nichts Besonderes. Es ist alles wieder gut. Kinder in diesem Alter stecken das schnell weg.«
Ich stelle gerade fest, dass ich fast gar nichts über Hannos Familie weiß – weder die Namen seiner Kinder, noch deren Alter oder Hobbys. Ich weiß nicht, was er in der Freizeit mit seiner Familie unternimmt – ob sie lieber wandern gehen oder bevorzugt ans Meer fahren. Ich weiß nicht, ob seine Ehefrau tagsüber dem Haushalt nachkommt und abends mit einer selbst gekochten Mahlzeit auf ihn wartet oder ob sie sich beruflich selbstverwirklicht. Ich habe keine Ahnung, wie Hannos Alltag in Hamburg aussieht.
Aber ich möchte diese scheinbar ungeschriebene Regel, unser persönliches Umfeld auszuklammern, nicht im Rahmen dieses Telefonats brechen. Die Frage nach dem Wohlbefinden seines Sohnes soll die Ausnahme bleiben.
»Dann ist es gut«, antworte ich knapp.
»Und dir, Betty, wie geht es dir?«
»Gut. Eigentlich gut.«
Schweigen. Wir spüren beide, dass dieses Telefonat nicht einfach nur ein belangloses Telefonat ist. Ich ringe nach den richtigen Worten – zweifele, ob es richtig war, Hanno anzurufen. Er wirkt wieder sehr gefasst. Es ist nichts davon zu spüren, dass er mich in letzter Zeit eventuell vermisst haben könnte. Und obwohl ich genau das wollte, nämlich dass die Intensität unserer Beziehung abnimmt, bin ich erneut unsagbar enttäuscht, dass Hanno dieses Vorhaben einfach auf Knopfdruck umzusetzen vermag.
Hanno bricht das Schweigen: »Wieso sprichst du von ›eigentlich‹, Betty?«
Ich suche weiter nach einem sinnvollen Einstieg in das Thema, das mir seit ein paar Tagen so sehr am Herzen liegt.Ich fasse mich und spreche weiter: »Um ehrlich zu sein, habe ich das Gefühl, dass seit unserem letzten Telefonat etwas anders ist.«
»Was meinst du mit ›anders‹?«
»Du bist anders. Irgendwie distanzierter, förmlicher. Ich weiß auch nicht genau, wie ich es beschreiben soll.«
Ruhe.
»Aber genau das wolltest du doch, Betty.«
Wieder Ruhe.
»Ja. Vielleicht. Ich dachte allerdings nicht, dass sich in der Art und Weise unseres Kontakts etwas ändert – nur in der Häufigkeit. Oder bedeute ich dir nicht mehr so viel?«
Wieder Schweigen. Ich ärgere mich über meinen Anruf. Genau das sind die Gespräche, die man nicht mit Männern führen sollte. Wie konnte ich erwarten, dass das Telefonat einen anderen Verlauf nehme? Ich vermisse Hanno. Für ihn scheint das Leben unbeschwert weiterzugehen. Ich fehle ihm offensichtlich
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