Mein Herz springt (German Edition)
nicht. Wie soll ich da ein heiter-belangloses Gespräch führen? Es kann nicht funktionieren. Ich muss das Gespräch beenden. Ich habe das Gefühl zu ersticken.
Ich nehme einen Schluck Wasser und fahre fort: »Nein, Hanno. Entschuldige meine letzte Frage. Sie ist nicht fair.«
»Doch, Betty, du bedeutest mir immer noch sehr viel. Aber sein Anruf neulich hat mir gezeigt, dass sich etwas ändern muss. Und das ist meine Art, damit umzugehen. Ich vergrabe mich im Alltag – in meinem Beruf. Ich versuche, meine Gedanken von dem, was zwischen uns passiert ist, abzulenken.«
Kurzes Schweigen.
»Ich will dir damit nicht wehtun. Aber es ist für mich der einzige Weg, damit klarzukommen.«
Ich entspanne wieder ein bisschen. Hannos Gefühle mir gegenüber sind nicht im luftleeren Raum erloschen, er hat sienur unterdrückt. Wir empfinden dasselbe füreinander, gehen nur unterschiedlich damit um. Das kann ich verstehen.
Ich setze das Gespräch fort: »Möchtest du denn immer noch, dass ich zur Weihnachtsfeier nach Hamburg komme?«
»Ja, Betty. Das möchte ich. Sehr sogar.«
Mein Abend ist gerettet.
Bevor wir das Telefonat kurze Zeit später beenden, meint Hanno: »Schön, dass du angerufen hast, Betty. Es war eine gute Idee.«
»Ja, das war es. Bis in zwei Wochen«, antworte ich gerührt und lege auf.
Ich sitze auf unserem Wohnzimmersofa und bin erleichtert. Mehr noch, ich bin froh, den Schmerz nicht weiter in mich hineingefressen zu haben und Hanno angerufen zu haben. Es tut gut, Gefühle zu zeigen und nicht immer nur die Starke vorzugeben. Das Telefonat hat bewiesen, dass die Beziehung zwischen Hanno und mir reif und etwas ganz Besonderes ist.
Ich könnte die Welt vor Glück umarmen. Unglaublich, welche Gefühle Hanno in mir freisetzt. Um nicht darüber zu grübeln, wie alles weitergehen wird, nehme ich mein Buch zur Hand und lese erst einmal ein paar Kapitel. Dabei werden meine Gedanken immer wieder auf Hamburg und die Weihnachtsfeier gelenkt. Ich freue mich unheimlich auf den Abend mit Hanno. Aber: Werden wir miteinander sprechen können? Lachen? Tanzen? Die Feier findet im Kreise seiner Belegschaft und Forschungsteams aus Deutschland in einer gehobenen Location an der Außenalster statt. Jeder wird dabei nach Hannos Aufmerksamkeit suchen. Wird er überhaupt Zeit für mich haben? In meinen Träumen jetzt gerade: ja.
Der Roman, den ich gerade lese, untermauert meine melancholische Stimmung kurz vor Mitternacht. »Wo geht’s nach Süden?«ist die Fortsetzung des Erstlingswerks »Nicht nach vorn und nur zurück« des Bestseller-Autors Sven Bergmann. Den ersten Roman habe ich verschlungen. In einer einzigen Nacht. Er handelt von der Gymnasiallehrerin Eleni, die sich hoffnungslos in ihren begabten Schüler Vinzent verliebt. Raum für das Entstehen einer romantischen Beziehung wird durch das Engagement Elenis geschaffen, die mathematische Begabung des Teenagers auch neben der Schule zu fördern. Da das Elternhaus Vinzents keine Notwendigkeit für einen höheren Bildungsweg sieht und alle Überzeugungsversuche durch Eleni scheitern, kümmert sie sich selbst um den Schüler. Sie treffen sich an den Nachmittagen, um sich der hohen Kunst der Mathematik zu widmen. Schon bald begleitet Eleni Vinzent zu den verschiedenen regionalen und später nationalen Schüler-Wettbewerben. Und schon bald bemerkt Eleni, dass ihre Gedanken viel öfter bei Vinzent und den gemeinsamen Stunden als bei ihren beiden Söhnen und ihrem Mann sind. Obwohl Eleni in ihrem Herzen spürt, dass Vinzent ihre Gefühle erwidert, vermeidet sie jegliche Berührung, die ihrer gemeinsamen Lebenssituation nicht angemessen sein könnte. Die starken Gefühle der beiden dürfen nicht ausgelebt werden. Stattdessen münden sie in einer virtuellen E-Mail-Beziehung. Die Geschichte endet damit, dass Vinzent zum Studium ans Massachusetts Institute of Technology nach Boston geht. Eleni bleibt zurück. In der Hoffnung, dass ihre Gefühle Vinzent gegenüber bald Vergangenheit sein würden. Sie löscht ihren E-Mail-Account.
Die Veröffentlichung des Folgeromans konnte ich kaum erwarten. Als es endlich so weit war, war ich eine der Ersten, die morgens vor den noch verschlossenen Türen der Buchhandlung am Neumarkt stand. Nicht dass ich davon ausgegangen wäre, dass die Neuerscheinung ein paar Stunden später hätte vergriffen sein können. Nein, meine Vorfreude auf diesenRoman sollte sich an diesem Tag auch in meinem besonderen Kaufverhalten ausdrücken.
Bergmanns zweiten
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