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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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rauchigen Schluckauf. Dann sackte er zusammen, was ein kleines Erdbeben auslöste.
    Oliver verließ die Höhle des Drachen als Sieger, ein Triumph, der seinem Vater verwehrt geblieben war.

O liver
    Als Delilah das Buch das nächste Mal aufschlägt, befinde ich mich an einem Ort, an dem ich noch nie gewesen bin. Der Schreibtisch, der Spiegel und die rosa Tagesdecke, die ich aus Delilahs Zimmer kenne, fehlen. Ich klettere an den Rand der Seite und versuche mehr von der neuen Umgebung zu erkennen. »Wo sind wir?«

    »Hier habe ich als Kind oft gespielt. Das ist mein Baumhaus, meine Festung.« Delilah tritt zurück, damit ich es besser sehen kann. Die Wände bestehen aus Holzbrettern, mit einer provisorisch herausgesägten Fensteröffnung. Auf Regalen stehen Blechdosen mit Buntstiften, Münzen und Steinen. In einer Ecke liegt ein Stapel alter Zeitungen, deren Ränder sich wegen der Feuchtigkeit eingerollt haben.
    Ich muss sagen, ich bin nicht gerade beeindruckt. Noch nie habe ich so eine heruntergekommene Festung gesehen. »Es ist ein Wunder, dass dich der Feind nicht schon längst vertrieben hat«, bemerke ich leise.
    »Das nicht, aber der Nachbarshund war schon einmal nahe dran«, sagt Delilah. »Es ist keine echte Festung. Ich tue nur so.«
    »Warum tust du, als ob du im Krieg leben würdest?«
    »Weil Kinder das eben machen«, erklärt Delilah. »Das wirst du schon sehen, wenn du hier bist.«
    Bei diesem Worten verstummen wir beide. Die Zeit für unseren Versuch, mich aus dem Märchen herauszuschreiben, ist gekommen.
    »Ich habe dich absichtlich hierhergebracht«, fährt sie fort. »Weil ich dachte, das ist sicherer.«
    »Warum das denn?«
    »Na ja … erstens wissen wir nicht, wie laut es wird … Und zweitens, wenn meine Mutter mich noch einmal mit einem Buch reden hört, steckt sie mich garantiert in die Klapsmühle.« Sie zögert. »Und drittens wird sie, falls es funktioniert, nicht gerade begeistert sein, einen fremden Jungen in meinem Zimmer vorzufinden.«
    »Gut mitgedacht«, sage ich. Ich betrachte das Exemplar des Märchenbuchs, das ich von Rapscullios Bücherregal stibitzt habe. Obwohl es die Bekanntschaft mit Feuer gemacht hat, ist es wieder unversehrt und weist weder Brandmale noch irgendwelche Schrammen auf.
    »Und was jetzt?«, fragt Delilah nervös.

    »Ich glaube, ich muss das Ende umschreiben.« Aber jetzt, wo es so weit ist, klopft mir das Herz bis zum Hals. Und wenn es nun nicht funktioniert und ich nicht in Delilahs Welt, sondern in einem anderen Buch wieder auftauche, dessen Geschichte ich vielleicht nicht einmal kenne? Oder wenn ich auf der Schwelle zwischen meiner und Delilahs Welt stecken bleibe? Oder wenn durch das Umschreiben nur ein neues Buch entsteht und ich mich in derselben Situation wiederfinde, nur eine Schicht tiefer, sodass ein Entkommen noch aussichtsloser ist?
    Und das schlimmste Szenario: Was ist, wenn es funktioniert und Delilah beschließt, dass sie sich nicht mit einem unbedarften Ex-Märchenprinzen belasten will, der keinen Schimmer von der realen Welt hat? Wenn ich es mit dem Bild, das sie sich von mir gemacht hat, nicht aufnehmen kann?
    »Worauf wartest du?«, fragt Delilah.
    Und vielleicht meine größte Angst: Was ist, wenn ich durch dieses Vorhaben mein eigenes Ende besiegle? Wenn der Ort, an den ich gerate, weder ihre noch meine Welt ist, sondern das Nichts?
    Ich betrachte Delilahs Gesicht, sehe, wie sie sich auf die Unterlippe beißt. Ich will diese Unterlippe schmecken. Ich will sie . Keines der Risiken ist so grauenvoll wie die Vorstellung, hierzubleiben und zu wissen, dass ich nicht einmal versucht habe, mit Delilah zusammen zu sein.
    »Also.« Ich greife in mein Wams und ziehe ein Stück Holzkohle heraus, das ich in der letzten Szene mit Pyro eingesteckt habe – es ist einfach unpraktisch, Tinte und Feder in der Kleidung mit sich herumzutragen – und schärfe sie an der Klippe, wo ich stehe. »Legen wir los«, sage ich und blättere zur letzten Seite von Rapscullios Buch.
    Ohne mir einen Blick auf die Illustration auf der gegenüberliegenden Seite zu erlauben, ziehe ich die Kohle über das Wort E NDE .
    Plötzlich fliege ich Purzelbäume schlagend durch die Seiten; ich bemühe mich nach Kräften, die Kohle und das Märchenbuch nicht loszulassen. Äste aus dem Zauberwald schlagen mir schmerzhaft ins Gesicht; ein fieses Komma verhakt sich an meiner Hose und reißt ein Loch hinein; ich werde in die Dunkelheit katapultiert und wieder zurück ins Licht; ich

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