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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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»bin ich auch mit ein paar Blutegeln zufrieden …«
    »Aha!«, ruft Orville. Polternd klettert er die Leiter hinunter, einen Musselinbeutel in der Hand. Nachdem er das Zugband aufgeknotet hat, schüttelt er eine Handvoll schimmernder Muschelschalen in seine Handfläche. Eine davon wählt er aus, bricht sie mit einem Messer auf und bringt zwei vollkommene weiße Perlen zum Vorschein. »Nimm die beiden und komm morgen früh wieder«, verordnet er mir munter.
    Gerade als ich die Perlen in die Tasche stecke, kommt es am anderen Ende des Raumes zu einer feurigen Explosion. Die Druckwelle wirft mich flach auf den Boden und befördert Orville in die Luft. Er landet mit verknoteten Gliedmaßen auf dem schmiedeeisernen Kronleuchter, der von der Decke hängt. »Ausgezeichnet«, jubelt er, »es ist fertig!«
    »Was ist fertig?«, frage ich und rapple mich auf.
    »Ach, nur ein kleines Experiment.« Orville tritt zu einem schwarzen Postament, das ein bisschen an ein Vogelbad erinnert, in dem jedoch lilafarbene Rauchschwaden wabern. Entzückt reibt er sich die Hände, dann holt er ein Hühnerei aus seiner Schürzentasche. »Drück mir die Daumen«, bittet er mich, als ich an seine Seite trete.
    Er wirft das Ei in den farbigen Nebel, aber ich höre es nicht aufschlagen. Stattdessen steigt der Rauch nun in einer hohen Säule auf und formt sich dann zu einem lavendelfarbenen Bildschirm. Einen Augenblick später ist ein Huhn darauf zu sehen.
    »Das … das verstehe ich nicht«, sage ich.
    »Was du hier siehst«, erklärt Orville, »ist die Zukunft.«
    Oder die Vergangenheit, denke ich. Das ist doch schließlich die Frage: Was war zuerst da, die Henne oder das Ei?
    Orville unterbricht meine Gedanken. »Ziemlich genial, findest du nicht?«
    »Aber das … du kannst doch nicht …«
    »Versuchen wir es mit etwas anderem.« Der Zauberer sieht sich in der Hütte um und zupft dann eine Raupe aus dem schiefen Fensterrahmen. Er wirft sie in den Nebel, und kurz darauf steigt ein Schmetterling aus violettem Rauch in einer Spirale aus den Tiefen des Postaments auf.
    »Orville!«, rufe ich. »Das ist unglaublich!«
    »Nicht schlecht für einen alten Knaben wie mich, was?« Er stößt mich mit dem Ellbogen in die Seite, dann reißt er sich ein Haar vom Kopf. »Das klappt doch nie …«

    Er wirft sein Haar in den Nebel, und einen Augenblick später sehen wir ihn vor uns, klar und deutlich – nur noch ein bisschen schrumpeliger und runzliger im Gesicht. Der zukünftige Orville beugt sich über einen Kessel, der plötzlich explodiert und in purpurfarbenen Rauch aufgeht.
    »Jawohl«, sagt Orville. »Das kommt doch ziemlich gut hin.«
    »Ich will es auch mal probieren. Ich möchte meine Zukunft sehen.«
    Der Zauberer runzelt die Stirn. »Aber warum denn, Oliver? Du weiß doch bereits, was mit dir passiert. Du lebst glücklich und zufrieden bis …«
    »Ja, ja, schon klar. Aber trotzdem. Man weiß ja nie. Ich meine, werde ich hier im Königreich leben oder wegziehen? Kinder bekommen? Einen Krieg anfangen? Ich möchte nur ein paar Einzelheiten …«
    »Das halte ich für keine gute Idee …«
    Bevor Orville mich davon abhalten kann, reiße ich mir ein Haar aus und werfe es auf das Postament.
    Eine ganze Weile sieht man gar nichts außer einem wirbelnden lavendelfarbenen Strudel. Schließlich schießt ein Nebelgeysir an die Decke und regnet kuppelartig herab. Im Innern dieser Nebelkuppel kann ich mich selbst sehen.
    Als Erstes fällt mir auf, dass ich nicht mein Wams trage.
    Und ich habe weder Schwert noch Dolch bei mir.
    Und ich befinde mich auch nicht in einer Kulisse aus diesem Märchen.
    Stattdessen bin ich gekleidet wie die Menschen, die ich auf den Fotografien in Delilahs Zimmer gesehen habe. Ich sitze in einem Zimmer, das mich an Delilahs Schlafzimmer erinnert … aber es ist anders. Zum Beispiel gibt es dort einen offenen Kamin und in Delilahs Zimmer nicht. Hinter mir steht ein Regal, vollgestopft mit Büchern. Manche der Aufschriften auf den Buchrücken kann ich nicht lesen, weil ich die Sprachen nicht kenne.
    Trotzdem scheint mir die Szenerie ziemlich verlockend für eine Zukunft außerhalb dieser Geschichte.
    Zumindest, bis ein Mädchen hereinkommt und die Arme um mich schlingt. Ihr Gesicht kann ich von meinem Platz aus nicht sehen.
    Auf einmal stürzt Orville vor und wedelt mit der Hand durch den lavendelfarbenen Rauch, sodass sich das Bild auflöst. »Majestät, der Apparat befindet sich offensichtlich erst in der Testphase«,

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