Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Jeannette sind die ersten Gratulanten nach meinem historischen Sieg in Bischofshofen.
Zum Feiern fast zu müde
In den nächsten Stunden und Tagen stand ich komplett neben mir. Nein, ich hatte nicht gezweifelt, dass ich es schaffen kann. Ich hatte um meine gute Form gewusst. Aber die Nervenanspannung war gigantisch gewesen. Wenn das Ganze noch einen Tag länger gedauert hätte, wäre ich umgekippt. Aber jetzt hatte ich etwas geschafft, was noch keinem Skispringer zuvor gelungen war. Ich war in einem seltsamen Zustand: einerseits kraftlos und total müde, und gleichzeitig zeigte sich mein Glücksgefühl in gewaltigen Gänsehautschüben. Und irgendwie erlebte ich den Jubel und die Begeisterung um meine Person auch als eine Art gerechten Lohn, denn schließlich hatte ich so viel in den Sport investiert. War es nicht fair, dass ich jetzt so viel zurückbekam?
Es waren auch glückliche äußere Umstände. Bei den vier Wettkämpfen hatten wir viermal reguläre Bedingungen, das hatte es so noch nie gegeben. Kaum störende Winde, immer ähnliche Temperaturen, wirklich faires Publikum. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn es zum Abschluss in Bischofshofen geschneit hätte und die Anlaufspur immer langsamer geworden wäre?
Ich konnte meine Stärke voll ausspielen. Ich hatte einen Lauf. Einen Lauf? Das ist, wenn alles scheinbar mit Autopilot abläuft. Egal, was kam, ich flog immer weit und fast immer am weitesten von allen. Ich tauchte in eine Art Tunnel, ließ mich nicht ablenken, dachte nicht nach, machte einfach mein Zeug und fühlte mich dabei großartig.
Mein Triumph wurde in den Medien als außergewöhnliche Leistung gefeiert. Ich wurde als »Vogelmensch« beschrieben, und als »lebender Beweis für die Leichtigkeit des Seins«. Am späten Nachmittag überaschte mich Rosi Kenzler mit einem Ständchen der Musikkapelle von Hinterzarten. Am Abend des himmlischen Triumphes war ich fast zu schwach, um noch überirdisch feiern zu können. Mit dem Team fuhren wir trotzdem, wie in den Jahren zuvor auch, nach St. Johann und feierten mit Springerkollegen aus den anderen Nationen bis nachts um drei. Die ganze Anspannung fiel endlich von mir ab. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich mal wieder so richtig durchschlafen zu können. Seit nunmehr zehn Tagen gab es das nicht mehr.
Weltcupwahnsinn in Willingen
Was in den Tagen danach passierte, packte BILD in eine schöne Schlagzeile: »Hannimania«. Den Höhepunkt des Wahnsinns erlebte ich ein paar Tage später beim Weltcup in Willingen im Sauerland. Unser Hotel wurde von Fans belagert. Junge Mädchen warteten hinter dem Schutzzaun mit roten Rosen. Tausende hüpften zum Song »Honey, Honey« (»Hanni, Hanni«) durch die Gegend.
Auf der Sitzplatztribüne hielten Damen Plakate hoch, auf denen stand: »Sven, ich möchte Deine Schwiegermutter sein.« Oder: »Sven, wo ist deine Wäschekammer?« Oder: »Sven, ich will ein Kind von dir.« Die ersten Fans waren bereits nachts um drei zur Party-Schanze am Mühlenkopf gepilgert. Um ihren Stehplatz in der ersten Reihe nicht verlassen zu müssen und ihn vielleicht zu verlieren, hatten sich Mädels mit Windeln ausgestattet. Über hundert zusätzliche Sicherheitskräfte waren damit beschäftigt, die Begeisterung im Zaum zu halten.
Bei mir in Hinterzarten stapelten sich die großen gelben Postbehälter an, gefüllt mit Briefen und Päckchen. Die nahm ich mit zu meinen Eltern. Aus dem einen oder anderen fischte meine Mama auch mal einen BH. Es hagelte Heiratsanträge per Mail. Es war nicht mehr zu fassen. Seltsam, aber irgendwie berührte mich das wenig. Ich steckte komplett im Vernunft-Modus. Für Mädchen, für Frauen, für eine Beziehung war in meinem Leben in den Jahren zuvor und auch in diesem Moment kein Platz. Darum wollte ich mich erst nach meiner Karriere kümmern.
Der Wahnsinn in Willingen hatte einen weiteren Höhepunkt. Denn ich gewann diesen Weltcup. Anschließend verwandelte sich der Ort in eine alkoholisierte Party-Meile. Der »Hanni-Boom«, so bilanzierten Zeitungen, bescherte der Region einen Umsatz von geschätzten zehn Millionen Euro.
Der Erwartungsdruck belastet mich zunehmend
Nach der Vierschanzentournee gingen bei meinem Manager mehr als ein Dutzend Einladungen in Talkshows ein. Das Interesse an meiner Person, aber auch die Erwartungen steigerten sich spürbar. Und dieser Erwartungsdruck belastete mich zunehmend.
Langsam schien mir alles über den Kopf zu wachsen. Eine große Müdigkeit breitete sich in meinem
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