Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
weil der zweite Wettkampftag abgesagt wurde. Bei der Landung jubelte ich über den weitesten Satz in der Konkurrenz ausgelassen. Doch dann, beim Abschwingen, verkanteten im schweren Nassschnee meine Skier, ich kippte um. Und schon beim Aufstehen fühlte sich mein rechtes Knie so komisch an. Und es wurde ganz dick.
Nach der Untersuchung durch Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München war klar: Mein Meniskus war angerissen. Und es war auch klar, dass ich nach der Operation wochenlang außer Gefecht sein würde, bis der Meniskus wieder verheilt wäre. Erst im Juni konnte für mich das Aufbautraining für die nächste Saison (2002/2003) beginnen.
»Die Leute, die ich kannte, konnten mir nicht helfen. Damals hatte ich meine erste richtige Freundin, auch die kam nicht an mich ran. Das war ganz komisch, ich kann das alles bis heute nicht wirklich erklären.«
Endlich einmal richtig Ruhe
Die drei Monate Zwangspause waren eine schmerzhafte Zeit. Aber sie retteten mich, so sehe ich das heute, über die nächste Saison. Jedenfalls fast.
Endlich konnte ich ausruhen. Endlich gab es mal nichts zu tun, weil ich nicht konnte. Ich quartierte mich in der Wohnung meiner Eltern ein. Ich lag herum, schaute fern, humpelte auf Krücken herum, sonnte mich auf der Terasse. Ich war zufrieden, dass ich endlich meine Ruhe hatte. In diesen drei Monaten Auszeit habe ich mich ganz gut erholt.
Und als danach auch noch das Aufbautraining mit dem Konditionstrainer Jürgen Wolf in seinem Reha-Zentrum Neckar-Odenwald fruchtete, fühlte ich mich körperlich wieder fit. Aber in meinem Innersten hatte sich eine seltsame Unruhe und Unsicherheit eingestellt.
Dennoch lief es sportlich zunächst durchaus erfreulich. Nach einem miserablen Saisonstart (44. und 49. beim Weltcup im finnischen Kuusamo) sprangen bis Anfang Februar 2003 noch sechs Weltcupsiege (in Engelberg, Oberstdorf, zweimal Zakopane, Tauplitz/Bad Mitterndorf und Willingen) heraus. Aber dann fiel ich in ein tiefes Loch.
Tiefer Winter im finnischen Kuusamo. Als im November 2003 die neue Weltcupsaison startete, begann mein tiefer Fall.
Das Team bricht auseinander
Um uns auf den Höhepunkt dieser Saison, die Weltmeisterschaften im Val di Fiemme, vorzubereiten, waren wir wie sonst auch zu einem Lehrgang nach St. Moritz gefahren. Mir gefiel diese alpine Kulisse immer besonders gut, vor allem der kleine St. Moritzersee, der sich für Joggingrunden bestens eignet. Doch diesmal rannte ich die jeweils knapp 5 Kilometer nicht locker und entspannt wie sonst – sondern aufgedreht wie ein Bekloppter. Vielleicht wollte ich mir auch den Frust, der sich gerade aufgestaut hatte, aus dem Leib rennen.
Denn es war zu spüren, dass sich unser Team, das in all den Jahren stets ein Schutzraum für mich war, auflöste. Jeder machte plötzlich sein eigenes Ding. In den Medien wurde schon heftig der Rücktritt von Bundestrainer Reinhard Heß diskutiert. Ihm wurde nach neun Jahren erfolgreicher Arbeit und einer durchwachsenen Saison nachgesagt, es habe sich allzu viel Routine eingeschlichen, und der Teamgeist fehle.
Das Ränkespiel um den Bundestrainer
Das Thema Heß entwickelte rasch eine Eigendynamik, besonders nach der Weltmeisterschaft, die für die deutschen Skispringer miserabel verlief. Wir blieben ohne Medaille. Schließlich wurden Martin Schmitt, Michael Uhrmann, Georg Späth und ich nach München beordert, um den Generalsekretär des Deutschen Skiverbands Thomas Pfüller über die Vorgänge im Team zu informieren. Mir wurde hinterher die Rolle eines Rädelsführers angedichtet: Ich hätte mich für die Ablösung von Bundestrainer Heß ausgesprochen.
Das stimmt so nicht. Ich habe nie gesagt, dass Heß wegmuss. Ich habe gesagt, dass, falls ein neuer Bundestrainer gewünscht wird, mein Heimtrainer Steiert, mit dem ich jahrelang vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet hatte, eine gute Wahl wäre.
Klar, auch Wolfgang Steiert hatte großes Interesse daran, selbst Bundestrainer zu werden. Und immer wieder befeuerte er die Diskussion auch ganz geschickt. Und wir Athleten ließen uns vor den Karren spannen. Dabei hätte ich mich am liebsten aus allem rausgehalten. Ich wollte in dieser Zeit eigentlich nur meine Ruhe.
Im April 2003 wurde Wolfgang Steiert neuer Bundestrainer. Er packte seine neue Aufgabe total motiviert an. Meine Motivation hingegen war schnell verbraucht. Denn das Tagesgeschäft, meine individuelle Betreuung durch ihn, litt nun empfindlich. Bisher war Wolfi als mein
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