Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Kopf aus.
Manchmal wollte ich nur noch meine Ruhe. Am liebsten hätte ich mich komplett zurückgezogen. Alles wäre jetzt möglich gewesen. Aber das nicht.
Der FAZ-Redakteur Achim Dreis schrieb in diesen triumphalen Wochen einen Kommentar mit dem Titel: »Abgehoben für die Ewigkeit«: »Sven Hannawald ist kein unbedachter Spring-ins-Feld, sondern ein nachdenklicher Sprungmeister. Er hat tiefe Täler durchlitten, und galt trotz seiner längeren Erfahrung zumeist als kleiner Bruder des deutschen Vorspringers Martin Schmitt (23). Es ist Sven Hannawald zu wünschen, dass er möglichst lange auf der Wolke des Triumphs schwebt. Selbstverständlich ist es nicht.«
Er sollte recht behalten.
Olympiasieger 2002: Zusammen mit Martin Schmitt, Michael Uhrmann und Stephan Hocke (von links) gewann ich in Salt Lake City die Goldmedaille im Team-Springen. Mit 0,1 Punkten vor Finnland.
»Sportler des Jahres« 2002
Als »Held der Lüfte« auf der großen Bühne
Der Reiter Hans Günter Winkler, Goldmedaillen-Gewinner Georg Thoma (Nordische Kombination), Boris Becker, Henry Maske, Michael Schumacher – diese Sporthelden wurden unter anderen von deutschen Sportjournalisten zum »Sportler des Jahres« gekürt. Und 2002 wählten sie mich, und ich durfte mich im mondänen Kurhaus von Baden-Baden auf der Bühne feiern lassen. Was für eine ganz besondere Ehre.
In der Laudatio wurde daran erinnert, dass es im Sport Momente mit historischer Dimension gibt: Das war so, als ein junger deutscher Tennisspieler erstmals in Wimbledon siegte oder erstmals ein deutscher Radfahrer die Tour de France gewann. Vier Einzelsiege bei der Vierschanzentournee – dies wurde auch als sporthistorische Tat gewertet. Und dass Skispringer wie ich, die früher nur absoluten Wintersport-Insidern bekannt waren, nun als Helden der Lüfte ein Millionenpublikum begeisterten.
Jetzt sah mich alle Welt auch als Top-Favoriten bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City. Doch der weitgehend unbekannte Schweizer Simon Ammann gewann beide Einzelspringen. Für mich blieb die Silbermedaille auf der Normalschanze. Umso größer war dann die Freude, dass wir beim Teamwettbewerb die Goldmedaille holten. Die Wahl zum »Sportler des Jahres« war die Krönung einer unglaublich erfolgreichen Saison.
Ergebnisse der Wahl 2002 zum »Sportler des Jahres«:
1. Sven Hannawald (Skispringen); 2. Dirk Nowitzki (Basketball); 3. Michael Schumacher (Formel 1)
»Sportlerin des Jahres«: 1. Franziska van Almsick (Schwimmen); 2. Claudia Pechstein (Eisschnelllauf); 3. Kati Wilhelm (Biathlon)
»Mannschaft des Jahres«: 1. Fußball-Nationalmannschaft; 2. Basketball-Nationalmannschaft; 3. Skisprung-Team
Glanzvoller Abend in Baden-Baden: Sven Hannawald im Smoking neben Franziska van Almsick und Kati Wilhelm
Der Absturz
Der schmale Grat zwischen hohen Erwartungen und Überforderung: wie ich meine Form, meinen inneren Halt und meine Motivation verlor und im Nirgendwo landete – sportlich und privat
Die Verzweiflung ist mir ins Gesicht geschrieben. Selbst bei meinem Lieblingswettbewerb, dem Skifliegen, ging nichts mehr. Bei der Weltmeisterschaft am 21. Februar 2004 in Planica wurde ich nur 17.
Dieses seltsame Gefühl hatte sich schon ein paar Monate nach dem Wintermärchen eingeschlichen, meinem Triumph bei der Vierschanzentournee. Es war, als wäre mein inneres Feuer erloschen. Häufig hatte ich keine Kraft mehr, das zu tun, was ich eigentlich tun wollte. Manchmal wollte ich abends noch joggen gehen. Ich zog mir also meine Joggingschuhe an, ging vor die Tür – und kehrte wieder um. Ich hockte mich stattdessen vor den Fernseher. Ich blieb am liebsten zu Hause in Hinterzarten, in meiner kleinen Wohnung mit gerade mal 38 Quadratmetern. Ich hatte keine Lust, jemanden zu treffen, weil ich keine Lust hatte, mit jemandem zu reden. Was war los mit mir? Warum war ich so oft so müde? Warum fehlte mir dieser innere Antrieb so völlig?
Ja, in den letzten Monaten war sehr viel auf mich eingestürmt. Die vielen Interviews und die vielen Fernsehauftritte, die vielen Autogrammwünsche und die vielen Kameras, in die ich lächeln sollte. Die Veranstalter, die mich oftmals von einem Empfang zum nächsten schleppten. Prinzipiell sind solche Termine ja schön, es ist doch schmeichelhaft, wenn sich so viele Menschen darum bemühen, dich als Gast bei ihrem Fest, in ihrer Show zu haben, wenn sie dich feiern. Warum wollte und konnte ich in diesen außergewöhnlichen Monaten nicht ausgelassen
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