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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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etwas erhöhten Plateau vor der Kirche die lange Kette von gepanzerten Polizeifahrzeugen, eines hinter dem anderen aufgereiht, ein beklemmendes Bild: die eigenen Leute, sozusagen, als Traditionsverhinderer. Fürchterlich, was da geschieht.
    Letzte Nacht sollen 6000 Menschen hier gewesen sein, heute wird ein Vielfaches dieser Zahl erwartet.
    Inzwischen ist es 14 Uhr 30 geworden und hoher Besuch eingetroffen: David Trimble, Member of Parliament, also ein Abgeordneter der Unionisten Nordirlands in Westminster.
    Er steht nahe der Polizeibarriere vor einer dichtgedrängten Menge, die ihm atemlos zuhört - ein mittelgroßer, distinguiert wirkender Mann von etwa vierzig Jahren mit einer wappenbedeckten Schärpe um den Hals und einer gefalteten Zeitung unter dem linken Arm.
    Die Spaltung, die hier sichtbar wird, sagt David Trimble, schmerze - Unionisten und RUC stünden sich feindlich gegenüber. Das sei der IRA und Sinn Fein mit den schweren Ausschreitungen der letzten Tage gelungen, sie wollten Druck auf die britische Regierung ausüben, um mehr Konzessionen zu erreichen, und hätten damit Erfolg. Die Entlassung von Lee Clegg sei nur ein Vorwand. Die Ablieferung der Waffen sei der Test, ob auf der anderen Seite ein echter Wechsel stattgefunden habe oder ob die IRA weiterhin eine Privatarmee mit großem Waffenarsenal sein wolle. Allerdings müßten beide Seiten die Waffen abliefern, auch die paramilitärischen Loyalisten. Mit ihren Vertretern habe es darüber positive Diskussionen gegeben, aber nichts dergleichen mit der IRA und Sinn Fein.
    Ab und zu wird die Rede unterbrochen durch wilden Applaus, heisere Zustimmung, nachdrückliche Bestätigung. Als David Trimble jedoch von Decommissioning of Weapons, der Entwaffnung auch der protestantischen Untergrundorganisationen spricht, regt sich keine Hand.
    Der zentrale Konflikt in Nordirland, fährt Trimble fort, sei der zwischen Menschen, die im Vereinigten Königreich bleiben wollten, und anderen, die sich als irische Nationalisten fühlten, als einen Teil der Republik Irland. Kein Zweifel, daß es die Nationalisten hart ankomme, daß sich ihre Wünsche nicht erfüllten, aber das sei überall der Fall, wo zwei Gruppen verschiedener Nationalität und Religion konkurrierend nebeneinander existierten und die eine zahlreicher sei als die andere.
    Auf demokratischem Weg werde Nordirland niemals aus dem britischen Verbund austreten, und deshalb sei es für Menschen, die in Ruhe und Frieden leben wollten, das wichtigste, die Realitäten anzuerkennen. Für die Minderheit der Nationalisten bedeute das, die Einheit mit Großbritannien zu akzeptieren. Innerhalb dieser Einheit müßte dann über Demokratie und Menschenrechte gesprochen werden. Sie gälten selbstverständlich für beide Gruppen.
    So weit Mr. David Trimble, Member of Parliament.
    Zustimmung, aber kein Jubel, wie am Anfang noch. Wird hier eine härtere Gangart gewünscht? Ich habe während der Rede immer daran denken müssen, was ein Mann wie Paul O’Connor dazu gesagt hätte. Aber zu den Scharfmachern zählt David Trimble offenbar nicht. Sind die hier gefragt?
    Gegen 17 Uhr macht sich bei dem Drumcree-Church-sit-in so etwas wie Volksfeststimmung breit. Viele Menschen lagern auf den Wiesen oder hocken auf dem Friedhof vor den Gräbern, manche von ihnen sind schon 24 Stunden und länger hier. Die Stimmung ist entspannter als vorhin, ja fast ausgelassen, vor allem vorn an der Sperre.
    Dort hat sich ein drastischer Wandel vollzogen.
    Auf den Dächern der gepanzerten Wagen sitzen junge Leute und schwenken den Union Jack, unbehindert von den Polizisten, die immer noch den Glasfiberschild vor sich halten, aber lockerer als vorher dastehen. Dauernd angesprochen, und das nun eher witzelnd, mit Verbrüderungstenor, versuchen sie, teilnahmslos auszusehen und unbeeindruckt zu bleiben, was ihnen aber nicht gelingt. Dann und wann zuckt es in ihren Gesichtern, bis sich einer von ihnen nicht mehr halten kann und laut auflacht. Jubel, Schulterklopfen, verlegenes Grinsen des RUC-Mannes.
    Kein Zweifel, er und seine Kollegen wären gern woanders, aber wenn schon vor solche Aufgabe gestellt, dann doch lieber mit katholischen Demonstranten als Gegnern.
    In der Gemeindehalle neben der Kirche herrscht großes Stimmengewirr. Brote werden verzehrt und Tee ausgeschenkt. Ein weißhaariger Herr nippt an einer Tasse und ißt ein Sandwich, gutgekleidet, teure Schuhe, teurer Stoff, im Schmuck seiner Orange-Schärpe - so sitzt er auf der harten Bank.

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