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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Kollegen von Channel Four getreten, geschlagen und beschimpft werden als »Gerry Adams’ Press Officers«, Fotografen vor Verfolgern übers Feld rennen, andere sich wehren gegen
    Demonstranten, die ihnen Schreib- und Bandgeräte aus den Händen zu reißen versuchen. Steine fliegen, Gerüchte schwirren: Die Armee werde eingreifen. Dann wird der Polizeikordon durchstoßen, und diesmal durchbricht eine große Menge die Linie der Panzerfahrzeuge, voran eine Gruppe mit einem Banner, auf dem »Disband RUC« steht (»Löst die RUC auf« - bisher eine Losung der Republikaner).
    Mir hängt die Zunge zum Hals heraus, als ich in der Garvaghy Road ankomme, bevor sie von den Demonstranten erreicht wird. Ich sehe die verängstigten Mienen der Bewohner, höre, wie sie rufen, schreien: »Wer schützt uns? Sind wir denen denn preisgegeben? Wo ist die Polizei?«
    Aber auch diesmal kommen sie davon, Hunderte anderer Polizisten sind eingetroffen und verhindern den Durchbruch der Demonstranten zur Garvaghy Road. Doch vor der Front der Polizeiwagen, auf dem freien Feld, gehen die Zusammenstöße weiter, knallt und splittert es, sausen Plastikgeschosse durch die Luft.
    Bei dem Versuch, mich vor ihnen zu ducken, rutsche ich auf dem Abhang an der Straßenseite aus und befinde mich plötzlich unter den Füßen der kämpfenden Parteien gemeinsam mit einem Kollegen der Nachrichtenagentur Reuter. Hin- und zurückwogend wird auf mir herumgetrampelt, als wäre ich eine Fußmatte. Während der Reuter-Mann entrinnen kann, komme ich nicht hoch. Deshalb rolle ich mich zusammen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, bleibe aber weiter die lebende Unterlage für Schaftstiefel und Halbschuhe, nicht imstande, mich zu erheben. Bis irgend jemand, ein Zivilist, sich über mich beugt, mir die Hand reicht, mich hochzieht und eine Entschuldigung stammelt. Vor meinem Dank läuft er weg, seine Schärpe vorn fest in den Händen, während ich spüre, daß mit meinen Rippen auf der linken Seite nicht alles so ist, wie es sein sollte. Gebrochen oder angeknackst?
    Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich mit meinem alten Ford nach Portadown ins Hotel gekommen bin. In der Nacht kein Schlaf, Schmerzen, dazu die Furcht, daß der Waffenstillstand dahin ist und Nordirland wieder in Flammen steht wie zuvor mehr als ein Vierteljahrhundert lang.
    Morgens dann in einem Belfaster Krankenhaus, nach eingehenden (und übrigens kostenfreien) Röntgenaufnahmen, die tröstliche Mitteilung, daß keine Rippe gebrochen ist, wohl aber die zwei unteren angestaucht (rammed) sind. Das verbunden mit der fürsorglichen Aufforderung, mindestens vier Wochen lang stramm das Bett zu hüten und mich darin möglichst wenig zu bewegen. Mit schlechtem Gewissen und ohne zu erröten, verspreche ich das den liebenswürdigsten Schwestern, die mir je begegnet sind, von vornherein fest entschlossen, weiterzumachen wie bisher, einfach so zu tun, als wäre gar nichts geschehen -Sklave meiner unsitdichen Arbeitswut, meines Berufes und meines selbst erteilten Auftrags.
    Aber weh, verdammt weh tut es unter der Bandage doch.
     

Das bonfire in der Sandy Row
     
    Am nächsten Tag mache ich mich eine Stunde vor Mitternacht auf zum bonfire in der Sandy Row.
    Als ich eintreffe, hebt sich der turmhohe Scheiterhaufen in der Mitte des großen Platzes schwarz gegen einen leicht rötlichen Hintergrund ab. In einer Seitenstraße ist schon ein kleines bonfire entzündet worden, wie ein glühendes Entree, eine feurige Ouvertüre. Das prasselt, sprüht Funken und strahlt eine schreckliche Hitze aus - mit hundert heißen Zungen leckt das Vorfeuer an Pappe, Holz, Holzwolle und alten Tapeten. Die Schattenrisse zweier Kinder, Winzlinge, zeichnen sich vor der Glut ab.
    Sofort stellen sich bei diesem Anblick Assoziationen ein, die ich nicht will, gegen die ich mich aber vergebens wehre - Hexenverbrennungen im Mittelalter bis in die Neuzeit, Autodafés von Juden im zurückeroberten christlichen Spanien, all das Furchtbare, das Menschen Menschen angetan haben im Zeichen irgendeines Gottes, einer Gottheit, eines Glaubens. Und natürlich denke ich an die Hochöfen der Todesfabriken unterm Hakenkreuz.
    Weiche Gedanken werden die Menschen hier beim Anblick des Feuers haben, alle die Protestanten, jung und alt, groß und klein, die sich singend und tanzend heute nacht auf der Sandy Row eingefunden haben wie Loyalisten und Unionisten in anderen Teilen Belfasts und überall in Nordirland auch?
    Die Diskothek drüben hat ihre Boxen

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