Mein irisches Tagebuch
wir brauchten nur unseren Kampf um Gleichberechtigung, um Arbeit, um Wohnungen aufzugeben. Wenn schwarze Amerikaner in Alabama nicht 1962 in ein für sie verbotenes Café gegangen wären, dann hätte der Ku-Klux-Klan sie auch nicht angegriffen. Wenn wir nicht auf die Straße gegangen wären, dann hätte die RUC uns schön in Ruhe gelassen. Aber das geht so nicht, denn es wäre ihr Frieden, nicht der Frieden aller Beteiligten. Der jedoch ist der einzige, der dauerhaft hält.«
»Du hast bei unserem ersten Gespräch gesagt: der bewaffnete Kampf sei überholt, also auch der der IRA. Bleibst du dabei, auch jetzt?«
»Ja, ohne weiteres, der ist tatsächlich überholt. Die IRA, sozusagen die zweite Polizei, ist keine Dauerlösung, ebenso wenig wie das punishment beating. Aber ob der bewaffnete Kampf eingestellt wird oder nicht - das hängt vor allem von der britischen Regierung ab, von ihrer Bereitschaft, die Nordirlandfrage wirklich lösen zu helfen. Davon kann bisher keine Rede sein.«
»Noch einmal - was sind die Hauptprobleme der nächsten Etappe?«
»Freilassung der politischen Gefangenen - Allparteiengesprä-che unter Einschluß von Sinn Fein - Schluß mit der britischen
Forderung einer Entwaffnung als Vorbedingung für die Gespräche. Wer darauf besteht, will keine Lösung. Die Immobilität der britischen Regierung ist das größte Hindernis auf dem Wege zu einem Frieden in Ulster.«
Pause. Dann: »Aber es muß endlich Schluß gemacht werden mit der schlimmsten aller Wahrheiten...«
Klack! macht mein Tongerät, natürlich. Das Band ist abgelaufen, wie so häufig, wenn es drauf ankommt oder besonders spannend wird. Ich lege jedoch kein neues ein, will keine längere Unterbrechung, sondern sage rasch: »Sprich weiter, ich werde versuchen, es mir zu merken. Also: >... endlich Schluß gemacht werden mit der schlimmsten aller Wahrheiten<« -
»- daß sich ohne Bomben nichts bewegt hätte, daß ohne Gewalt alles noch genau so schlimm oder gar schlimmer wäre als vorher.
Mit dieser furchtbarsten aller bisherigen Wahrheiten muß nun Schluß, muß endlich Schluß sein!«
Ich repetiere das verbale Finale im Kopf, mehrfach und in der leidvollen Kenntnis, daß mein Erinnerungsvermögen an Gesprochenes nie besonders ausgeprägt war, ich Paul O’Connors tonbandlose Worte aber unbedingt behalten will. Und ich habe sie behalten, so daß die beiden Schlüsselsätze und ihr Codewort sich hier getreulich aufgezeichnet finden, angefügt sein auch diesmal wieder dringlich verdoppeltes »Verstehst du?« - und noch einmal: »Verstehst du?«
Wie denn, Freund, könnte ich nicht, wie denn?
Gebt uns den Frieden zurück - jetzt
Letzter Tag in Belfast.
Noch einmal im Castle Court Center, dem gläsernen Konsumtempel in der Royal Avenue. Was mich dahintreibt, ist ein Alltagsfluidum, das ich wie zum Greifen empfinde, das unbefangen Gewöhnliche, das sich hier tummelt, gleichsam ein Barometer allgemeiner Befindlichkeit.
Ich sitze im oberen Stockwerk, sozusagen auf der Galerie, und schaue hinunter. Alles voller Lärm, eilender Erwachsener, aufgeregter, jubelnder, greinender Kinder; Männer und Frauen am Abend eines heißen Tags hitzeerschöpft, aber fröhlich. Darunter, auffallend, ein junger Mann in weißem Hemd mit grüner Krawatte, seinen vier- bis fünfjährigen Sprößling an der Hand. Dann und wann beugt der Vater sich herunter und läßt das Kind an seinem Eis schlecken. Auch ich habe mir gerade drei Mordskugeln für fünfündsiebzig Pence gekauft, das köstlichste gelato nördlich des Brenners.
Die Unruhen und Gewalttätigkeiten der letzten Wochen sind noch nahe, aber von inneren Spannungen ist hier nichts zu spüren. Am Nebentisch läßt sich ein junges Paar mit einem kleinen Mädchen nieder, das an der Schulter der Mutter hängt, das Händchen nach dem Vater ausstreckt und in die Sonne blinzelt, die von oben hereinfallt. Dann fangt es ganz unvermittelt an zu quengeln, zu weinen, zu brüllen, Geräusche, die sich mischen mit anderem Kindergejuchze und -gekrähe.
Ich gestehe, daß ich allergisch bin gegen solche Akustik, es immer war und wohl auch unaufhebbar bleibe. Aber hier, in Belfasts Mitte, ist es Musik in meinen Ohren, bade ich förmlich darin, kann ich davon nicht genug kriegen, eingedenk, aus welch ganz anderen Gründen hier über 25 Jahre auch Kinder geschrien haben.
Das Mädchen am Nebentisch hat sich beruhigt, quietscht vergnügt auf dem Arm des Vaters, patscht der Mutter ins Gesicht.
Ich denke: Diesem
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